Ein forensischer Fortschritt

5. August 2019 Kurt Bracharz
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Wer sein Wissen über DNA-Forensik bisher hauptsächlich aus Fernsehfilmen und Kriminalromanen bezog, dürfte davon überrascht sein, dass es eine entscheidende Änderung sein soll, dass die deutsche Bundesregierung nunmehr erlauben will, dass aus den DNA-Spuren von potentiellen Tätern mehr als das Geschlecht ermittelt werden darf. Wie? Was? War das nicht schon immer so – wobei „immer“ die Fähigkeit zur DNA-Analyse meint – , dass man quasi die vollständige und sichere Identität des ursprünglichen Trägers der Erbsubstanz erkannte und für das Gerichtsverfahren zweifelsfrei aufbereitete? In TV-Filmen ist es jedenfalls so.

Wie immer ist die Realität anders als ihre Darstellung in der Unterhaltungsindustrie. Vor allem ist, generell gesagt, der DNA-Nachweis keineswegs so hundertprozentig sicher, wie das meistens dargestellt wird, wenn im Film mit seiner eindeutigen Feststellung der Fall „gelöst“ ist. Wer sich für Details interessiert, sei zum Beispiel auf das Buch der schottischen Krimi-Autorin Val McDermid „Anatomie des Verbrechens. Meilensteine der Forensik“ im Albrecht Knaus Verlag verwiesen, in dessen Kapitel über Desoxyribonukleinsäure (ich bin es leid, dass mir das Rechtschreibprogramm dauernd sein blödes DANN vorsetzt) auch ein berühmt gewordener Fall geschildert wird, nämlich die Geschichte des „Heilbronner Phantoms“, einer Serienmörderin, deren DNA in den 1990er- und 2000er-Jahren am Tatort von Raubüberfällen und Morden in Österreich, Frankreich und Deutschland gefunden wurde. 2009, als die DNA auf der verbrannten Leiche eines Asylbewerbers in Deutschland gefunden wurde, dämmerte den Behörden, dass das „Phantom“ das Resultat von Verunreinigungen im Labor sein musste: Die Wattestäbchen, die bei all den scheinbar verbundenen Fällen für die DNA -Entnahme verwendet worden waren, waren nicht für diesen Zweck zertifiziert gewesen und konnten schließlich einem Unternehmen zugeordnet werden, das mehrere osteuropäische Frauen beschäftigte, deren DNA -Profil mit dem des ,Phantoms’ übereinstimmte.“ Britische Drehbuchschreiber haben das Phantom sofort in der Serie „Silent Witness“ verbraten, sind damit aber immerhin nahe an der Realität geblieben.

Aber wie gesagt, in Deutschland, wo das Thema Hautfarbe manchmal tabuisierter scheint als in den USA, plant ein „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens“ , dass die Strafprozessordnung so verändert wird, dass in Hinkunft auch „Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe sowie biologisches Alter“ ermittelt werden können. Das Justizministerium räumt ein, dass es sich dabei um einen „Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht“ handelt, aber mit der erweiterten DNA-Analyse würden „neue Ermittlungsansätze“ geschaffen und das sei „im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und stellt damit einen legitimen Zweck dar“. Im Prinzip entsprächen diese äußeren Merkmale dem, was auf einer Fotografie oder einem Video zu sehen sei, und diese habe man bisher schon zur Ermittlung heranziehen können. Aber gewisse Bedenken gibt es doch, dass gewisse Phantombilder Pogrome auslösen könnten, auch wenn sie der Realität entsprechen. Das Justizministerium sagt deshalb, spätestens bei der Fahndung müsse beachtet werden, „dass es in Fällen der möglichen Zuordnung der Spur zu Angehörigen einer Minderheit nicht zu einem Missbrauch dieses Umstandes im Sinne rassistischer Stimmungsmache oder Hetze kommen darf.“ Wie man sich das vorzustellen hat – welche Art der Beachtung welche Art von Handlungen auslösen könnte – , darauf soll sich jeder selbst einen Reim machen.
Missbrauch ist bei allem möglich, aber eine erweiterte forensische DNA-Analyse ist zweifelsohne zunächst einmal ein Fortschritt der Kriminalistik.

Zum Stand der Dinge in Österreich findet man einen verhältnismäßig aktuellen Artikel unter https://www.bmi.gv.at/104/Wissenschaft_und_Forschung/SIAK-Journal/SIAK-Journal-Ausgaben/Jahrgang_2017/files/Stein_2_2017.pdf