Ein Festival der Frauen

23. Oktober 2007
Bildteil

Film ist eine Kunstform, die von Männern dominiert wird. Filme von Frauen sind nicht nur im Kinoalltag, sondern auch auf Festivals in der Regel die Ausnahme. – Ein ganz anderes Bild zeigt die heurige Viennale, in deren Programm sich zahlreiche und sehr verschiedene Filme von Frauen finden.

Ob im Dokumentarfilm oder im Spielfilm überall stößt man bei der Viennale auf Filme von Frauen. Von Verhandlungen gegen junge brasilianische Kriminelle ("Juizo" von Maria Ramos) über die Schilderung des Lebens an der Moskauer Hauptstraße Rubljovka ("Rubljovka - Straße zur Glückseligkeit" von Irene Langemann) und das Porträt dreier 15jährigen Berlinerinnen ("Prinzessinnenbad" von Bettina Blümner) bis zu Valeria Bruni Tedeschis Tragikomödie "Actrices" und der meisterhaften, zutiefst bewegenden japanischen Trauerarbeit "Mogari no mori" von Naomi Kawase spannt sich der Bogen.

Einen Dokumentarfilm wie "Prinzessinnenbad" konnte wohl nur eine Frau drehen. Nur eine Regisseurin konnte den drei Mädchen Clara, Mina und Tanutscha, die sich an der Grenze zum Erwachsensein befinden, so nahe kommen, sich so in die 15jährigen Berlinerinnen hineinfühlen und durch das gegenseitige Vertrauen gleichzeitig erreichen, dass die Porträtierten sich öffnen und ungeschminkt und ehrlich über ihr Verhältnis zu Jungs, ihre Schulsituation, ihre Zukunftsperspektiven und ihre familiäre Situation erzählen. Trotz der Nähe der Kamera wird das nie voyeuristisch, denn man spürt den mitfühlenden Blick Blümners. Durch die Lebensechtheit und Ungekünsteltheit wird auch der Zuschauer in den Film hineingezogen und nimmt Anteil am Leben und der Befindlichkeit der drei Teenager.

Einen weiblichen Blick kann man dagegen in Emmanuelle Cuaus "Tres bien, merci" kaum erkennen. Konsequent erzählt Cuau von einem unbescholtenen, gut bürgerlichen etwa 45jährigen Buchhalter, der sich die Willkür von Kontrollorganen und Polizei nicht mehr gefallen lassen will und Widerstand zu leisten beginnt. Die Institutionen haben wenig Verständnis dafür: Zunächst landet Alex in einer Gefängniszelle. Als er am nächsten Tag entlassen werden soll, besteht er darauf den Kommissar zu sprechen. Die Polizisten reagieren auf seine Hartnäckigkeit mit Unmut und lassen ihn von einem Arzt untersuchen, der ihn als psychisch krank einstuft und in die Psychiatrie einweist.

Bestechend hält die Französin in diesem kafkaesken Alptraum, der an Hitchcocks "The Wrong Man" erinnert, die Balance zwischen Beunruhigung und Komik, die angesichts des grotesken Vorgehens der Institutionen aufkommt. Stringent inszeniert und konzentriert auf die Geschichte vom sukzessiven Ab- oder Ausstieg von Alex unterhält dieser Film, der in typisch französischer Manier, trotz des Ernstes des Themas große Leichtigkeit ausstrahlt, bestens und vermittelt gleichzeitig eindringlich und plastisch die Verunsicherung des Individuums in einer Welt, in der es hilflos Institutionen, aber auch dem Arbeitgeber, der den Leistungsdruck permanent erhöht, ausgeliefert ist.

Nicht nur weiblich, sondern auch autobiographisch ist der Blick der Schauspielerin Valeria Bruni-Tedeschi, die in ihrem zweiten Film als Regisseurin von der Lebenskrise einer erfolgreichen Schauspielerin erzählt, die sich, bevor es zu spät ist, mit 40 Jahren ein Kind wünscht. - Die Ausgangssituation von "Actrices" und das Spiel mit Theater und Leben bietet einiges Potential, doch Bruni-Tedeschi entwickelt die zentralen Themen nicht weiter, sondern verliert sich immer wieder in durchaus amüsanten, aber belanglosen Nebengeschichten und Slapstick-Momenten. Lustvoll gespielt ist das zweifellos, durchaus charmant und bewegend in Einzelszenen, wenn beispielsweise der tote Vater oder ein früherer Geliebter als Geister auftauchen, doch zerfällt "Actrices" eben auch in solche Einzelszenen. Was fehlt ist ein echter dramaturgischer Bogen.

Stringente Erzählweise und eine grandiose Hauptdarstellerin (Isild Le Besco) zeichnen dagegen Jeanne Waltz´ "Pas douce" aus. Mit prägnanten Einstellungen zeichnet die Schweizerin knapp, aber facettenreich das Porträt einer jungen Frau in einer tiefen persönlichen Krise: Mit ihrem Vater hat die Krankenschwester Frédérique offensichtlich gebrochen. In jeder Szene spürt man ihre Härte sich selbst und anderen gegenüber, ihre Verletztheit und Orientierungslosigkeit und ihren Zorn, bis die ehemalige Sportschützin schließlich ein Gewehr gegen sich selbst richtet. Doch gestört vom Geschrei von zwei Jungs reißt sie die Waffe herum und schießt aus ihrem Versteck dem etwa 12jährigen Marco ins Knie. Im Krankenhaus wird Fred mit der Sorge um diesen Jungen betraut. Nicht weniger zornig und aggressiv als sie selbst ist Marco, denn er leidet unter der Trennung seiner Eltern und der Abwesenheit der in Portugal lebenden Mutter, von der er sich im Stich gelassen fühlt.

Das kalte Blau und Weiß des Winters und des Krankenhauses korrespondiert dabei sehr überzeugend mit der psychischen Verfassung der Figuren. Waltz verfällt aber nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern zeigt auch, wie Fred und Marco, indem sie im anderen jeweils gewissermaßen einen Spiegel sehen, lernen die Verletzungen, die ihnen das Elternhaus zugefügt hat zu überwinden, sich von diesen Einflüssen zu befreien und zu einem neuen Leben zu finden.

Nicht von der Erziehung, sondern vom Verlust nahe stehender Menschen schwer traumatisiert sind die Protagonisten von Naomi Kawases "Mogari no mori": Seit 33 Jahren trauert Shigeki seiner toten Frau nach. Apathisch verbringt er die Tage in einem Altenheim, bis die junge Pflegerin Machiko auftaucht, die selbst in tiefer Trauer über den Tod ihres Sohnes ist. Im gemeinsamen Schmerz kommen sie sich näher. Zusammen unternehmen sie schließlich einen Ausflug, bei dem sie sich scheinbar in einem Wald verirren, doch in Wahrheit führt Shigeki Machiko zum Grab seiner Frau.

Platt kann nur eine Inhaltsangabe dieses unvergleichlich schönen und zutiefst bewegenden Films sein. Mit größtem Einfühlungsvermögen und gestützt auf zwei grandiose Darsteller (Uda Shigeki, Machiko) lässt Kawase den Zuschauer die Tiefe des Schmerzes und der Trauer nachempfinden und erzählt in großen Naturbildern, die durch die schier unendliche Vielzahl der Grüntöne und eine Vielzahl natürlicher Geräusche die Schönheit der Welt und von Sinneswahrnehmungen beschwören, von der Notwendigkeit den Schmerz zu überwinden. Weit wichtiger noch als die Sinneserfahrungen sind aber gegenseitige Zuwendung und Fürsorge. – Tiefste Menschlichkeit entwickelt "Mogari no mori" durch Kawases mitfühlenden Blick, mit dem sie in langen ruhigen Einstellungen und über weite Strecken wortlos ihre trauernden Protagonisten begleitet.