Echtes

Echtes, also das Eigentliche, Authentische, Genuine, ist das Gegenstück zum Ersatz, dem Substitut. Manchmal muss man sich mit dem Ersatz zufrieden geben, weil es das Echte nicht mehr gibt oder weil es unerschwinglich ist. Manchmal ist das Symbolische als Ersatz willkommen, weil wir uns z. B. gewisse Opferhandlung real und echt aus humanen Gründen verbieten. Ersatz oder Echtes sind nicht per se gut oder besser oder schlechter.

Aber nach welchen Kriterien ist etwas ECHT? Besonders im Wertebereich herrscht Unklarheit. Was ist authentisch Österreichisch, Deutsch oder Europäisch? Worin unterscheidet sich eigentlich das EIGENE vom Anderen, dem FREMDEN? Durch die Sprache, die gemeinsame Kultur? Wie eigen ist die in der globalisierten Welt? Wie sähe eine eigene Kultur im Kontrast zu einer anderen aus? Dass gewisse Traditionen die Fundamente bilden? Dass bestimme Kulturwerte vorherrschen? Welche? Wie bleibt eine Gesellschaft trotz Wandels sie selbst? Wir haben uns seit den Fünfzigerjahren stark geändert. Waren wir früher authentischer? Werden die echten Österreicherinnen durch altes Nationaldenken, verbunden mit Blut-und-Boden-Werten, wie von den dumpfen Freiheitlichen propagiert, und wie eine Mehrheit es zu teilen scheint, repräsentiert?

Nicht nur durch die Flüchtlingskrise haben sich solche Fragen zugespitzt. Sie hängen mit dem diffusen Verständnis von Identität zusammen, mit dem Verständnis von Sicherheit und Unsicherheit, also mit dem Selbstverständnis. Je gestörter dieses, desto rigider entweder die Ersatzpflege oder die unduldsame, intolerante Betonung des vermeintlich Eigenen, Authentischen, das bewahrt werden soll.

Hängt das Echte mit dem Typischen zusammen? Typisierungen sind Vereinfachungen. Soll darin die Lösung liegen? Fast scheint es, dass die Reduktionen darauf für viele die Lösung und das Ziel sind, sozusagen als versuchte Antwort auf die Unübersichtlichkeit und verwirrende Komplexität der Moderne, der damit etwas vermeintlich Solides entgegengesetzt wird: Wir sind wir, und das reicht. Es reicht aber nicht.

Die Geschichte unseres Kontinents illustriert eindrücklich die Untauglichkeit der Nationalkonzepte und Chauvinismen. Aber die Versuchungen zur falschen Einfachheit sind stark, überstark. Reife erfordert Arbeit und Anstrengung. Wie viel leichter ist da das Folgen, Mitlaufen, Mitmachen: einfach sein, was man ist. Herden haben Hirten, Mitläufer Vorläufer. Wer lässt sich führen und leiten? Von wem und wohin? Wer kennt seinen Weg, wer versucht selbständig den aufrechten Gang?