Digitale Aktivierungen der Ausstellung Lee Mingwei: 禮 Li, Geschenke und Rituale
Lee Mingweis Ausstellung, die am 27. März im Gropius Bau in Berlin eröffnet werden sollte, wird nun in Teilen online zugänglich gemacht. Das Programm umfasst Video-Einführungen zur Ausstellung, virtuelle Aktivierungen ausgewählter Kunstwerke und zwei neue Arbeiten, die von Lee Mingwei in Reaktion auf die aktuelle globale Krise entwickelt wurden.
Auf der Website des Gropius Bau werden zudem Installationsansichten, Ausstellungstexte sowie Auszüge aus dem Ausstellungskatalog veröffentlicht.
Lee Mingweis Installationen und Performances bewegen sich häufig innerhalb einer Logik des materiellen Austauschs und loten zugleich deren Grenzen aus, indem sie immaterielle Gaben in den Fokus rücken. "Ich sehe meine Arbeiten auch als Praxis, das Geschenk des Gesangs, das Geschenk der Kontemplation oder das Geschenk des Austauschs mit Unbekannten zu teilen", erklärt der Künstler. Da seine Arbeiten meist die Begegnung mit anderen voraussetzen, ist es für Lees Schaffen von zentraler Bedeutung, dass sich zwei oder mehr einander unbekannte Personen im selben Raum aufhalten und Momente miteinander teilen können – von Gesprächen bis zu gemeinsamem Essen, von Übernachtungen im Ausstellungsraum bis zum Ausbessern von fremder Kleidung.
Angesichts der gegenwärtigen Kontaktbeschränkungen hat Lee Mingwei nun mit dem Team des Gropius Bau neue Arbeiten entwickelt, die trotz der physischen Trennung intime Erfahrungen und Begegnungen ermöglichen. Anlässlich der ursprünglich geplanten Ausstellungseröffnung hat der Künstler zudem eine Botschaft der Solidarität aus seiner Wohnung in New York City geteilt.
Im Rahmen des zusätzlichen digitalen Programms werden verschiedene Arbeiten im Laufe der Ausstellung zu virtuellen Begegnungen:
Sonic Blossom und Invitation for Dawn
Sonic Blossom (2013/2020) geht auf Lee Mingweis Kindheit zurück, in der er mit seiner Mutter die Lieder Franz Schuberts hörte; als er ihr diese während ihrer Genesung nach einer Operation vorspielte, spürten beide die tröstliche Wirkung der Musik. Diese Arbeit verwandelt sich nun in eine virtuelle Begegnung zwischen einer klassisch ausgebildeten Opernsängerin und einer Einzelperson, der eine Einzeldarbietung eines Schubert-Liedes zuteil wird. Die Performance von Sonic Blossom wurde am Montag, den 6. April 2020, im Instagram-Livestream des Gropius Bau übertragen.
Zusätzlich wird Sonic Blossom Ausgangspunkt für eine neue Arbeit sein, welche angesichts der aktuellen Situation für die digitale Sphäre entwickelt wird. Unter dem Titel Invitation for Dawn (2020) sind interessierte Personen eingeladen, sich über die Website des Gropius Bau für dieses Projekt anzumelden. Ausgewählte TeilnehmerInnen werden dann über Online-Kommunikationsplattformen virtuell mit OpernsängerInnen zusammengebracht, die der jeweiligen Person ein Lied schenken. Alle SängerInnen stellen im Vorfeld ihr eigenes Repertoire aus drei Liedern zusammen, die für sie ein Zeichen der Hoffnung in der aktuellen globalen Krise darstellen. Anmeldungen für die Teilnahme sind per E-Mail möglich; der Kontakt und die verfügbaren Zeitfenster werden in den kommenden Tagen auf der Website veröffentlicht.
Letter to Oneself
Die neue Arbeit "Letter to Oneself" (2020) reagiert ebenfalls auf die aktuelle Krise: Ausgehend vom bereits existierenden "The Letter Writing Project" (1998/2020) lädt Lee Mingwei dazu ein, Briefe an sich selbst zu schreiben, die sich mit der gegenwärtigen Situation, Ängsten und Hoffnungen beschäftigen. Diese Briefe können an den Gropius Bau (Letter to Oneself, Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin) geschickt werden und werden im Rahmen der Ausstellung präsentiert, sobald diese eröffnet. Weitere Informationen finden Sie in Kürze hier.
Fabric of Memory und The Living Room
Bereits im Herbst 2019 veröffentlichte Lee Mingwei drei Open Calls, um das Publikum in seine Projekte einzubeziehen. Für die Arbeiten "The Mending Project" (2009/2020), "Fabric of Memory" (2006/2020) und "The Living Room" (2000/2020) suchte der Künstler nach Freiwilligen für Flickarbeiten, guten GesprächspartnerInnen, textilen Erinnerungsstücken mit emotionalem Wert und Menschen mit einzigartigen Sammlungen, die diese gerne anderen präsentieren möchten. Der Künstler öffnet seine Projekte für das Berliner Publikum, indem er diese Freiwilligen, ihre Geschichten und Objekte in seine Ausstellung aufnimmt und sie wiederum bittet, als GastgeberInnen für andere AusstellungsbesucherInnen aufzutreten.
"Fabric of Memory" zeigt, wie persönliche Geschichten in Gegenständen archiviert werden können. BerlinerInnen waren eingeladen, Kleidung und Gegenstände aus Stoff, die eigens für sie angefertigt wurden, für die Ausstellung einzureichen. Eine von Lee getroffene Auswahl dieser Gegenstände wird als Teil der Installation in Holzkisten ausgestellt, wobei jedes Objekt von einer Anekdote begleitet wird. Sämtliche Objekte und die dazugehörigen persönlichen Geschichten werden in Kürze auf der Website zugänglich gemacht. Zudem werden die beiden Kuratorinnen der Ausstellung in Kurzvideos einzelne Kisten öffnen und die Anekdoten zu den präsentierten Gegenständen vorlesen; diese Videos werden dann während der eigentlichen Ausstellungslaufzeit über die Social-Media-Kanäle des Gropius Bau geteilt.
In "The Living Room" verwandelt der Künstler einen Ausstellungsraum in ein Wohnzimmer und ermöglicht es Freiwilligen, in diesem Raum als GastgeberInnen aufzutreten. Indem diese dort ihre eigenen Sammlungen von Objekten mit persönlicher oder ästhetischer Bedeutung präsentieren, entsteht eine Ausstellung in der Ausstellung. Aufgrund der temporären Schließung des Hauses wird der erste Gastgeber seine Sammlung in mehreren Videos vorstellen, die auf der Website auf den Social-Media-Kanälen veröffentlicht werden.
Our Peaceable Kingdom
Eine Video-Einführung wird auch die für den Gropius Bau konzipierte Arbeit "Our Peaceable Kingdom" (2020) ergänzen, welche mit zwei zentralen Konzepten in Zusammenhang steht: zum einen mit der kontinuierlichen Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Begriff des Friedens in der heutigen Zeit; zum anderen mit der klassischen – sowohl im westlichen als auch im östlichen Kanon existierenden – Vorstellung, die Kunst der Malerei sei von MeisterInnen zu lernen. Ausgangspunkt seiner Arbeit im Gropius Bau ist das Schaffen des amerikanischen Malers Edward Hicks: Im Laufe seines Lebens kam Hicks in seiner Bilderserie "Peaceable Kingdom" immer wieder auf das Motiv des Friedens zurück; 62 Versionen davon sind heute in öffentlichen und privaten Sammlungen erhalten. Hicks war bekennender Quäker, und so ist sein von "Jesaja 11: 6–8" inspiriertes Bild eine Vision des Friedens auf Erden, in der Menschen und Tiere in Harmonie miteinander leben. Der Tradition folgend, durch das Kopieren von LehrerInnen zu MeisterInnen zu werden, lädt Lee 11 MalerInnen ein, Hicks’ "Peaceable Kingdom" (ca. 1833) zu kopieren. Diese fordern im Anschluss weitere KünstlerInnen auf, eine Kopie ihrer Version der Arbeit zu erstellen. Während sie ihre eigene Vision von Frieden in ihre Bilder einfließen lassen, wurden alle MalerInnen darüber hinaus dazu eingeladen, auch einen Text über Frieden einzureichen.
Katalog und Ausstellungstexte
Der Ausstellungskatalog, herausgegeben von Silvana Editoriale und Stephanie Rosenthal, erscheint in einer englischen und deutschen Ausgabe und wird ab Mitte Mai erhältlich sein. Auszüge aus dem Katalog werden neben weiteren Ausstellungstexten auf der Website des Gropius Bau veröffentlicht.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau, mit Clare Molloy, Assistenzkuratorin.

