Die Union gerettet

Eine deutliche Mehrheit der Schotten hat mit NO für den Verbleib in der Union gestimmt. Der Ausgang war offen, wiewohl unübersehbar war, dass die massive Einschüchterungs- und Angstkampagne, unterstützt von den Warnungen etlicher befreundeter Nationen in der EU, Wirkungen zeigen werden. Das hat sich eindrücklich erfüllt. Es wird dennoch nur ein Pyrrhussieg für das Königreich sein und auch einer für die Europäische Union.

Denn mit dem Verbleib gewann zwar die britische Union, aber nur mit enormen, zuvor zugesprochenen Zugeständnissen an Schottland. Es gewann nicht ein Unionsdenken, eine gemeinsame Überzeugung einer Einheitlichkeit, es gewann das Nutzendenken, es gewann die Angst. Kurz, es gewann das Establishment, the ruling class, die Hochfinanz. Denen reicht die Formalität, der Schein, weil er die Weiterführung der Geschäfte ungestört ermöglicht. Europa, das offizielle der EU, atmet auf, weil der Anstoß zum Dominoeffekt ausgeblieben ist.

Interessant und aufschlussreich sind die warnenden Angstparolen, die so ganz anders klangen als im Falle der Sezessionen der ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens. So anders als bei der Spaltung der Tschechoslowakei. So anders als im Falle der Ukraine. Vom Tabloid bis zu den Qualitätsmedien inklusive der BBC wurde eine Kampagne geführt, die ein Trommelfeuer von Schwarzsichten, düsteren Zukunftsszenarien für die Schottern zeichnete, eine Untergangsstimmung Britanniens zimmerten, das als Small Britain nicht mehr die bestimmende europäische Rolle würde einnehmen können. Die Königin warnte, die EU warnte, fast alle warnten. Außer der schottischen Unabhängigkeitsbewegung und jenen Kräften, die auch in anderen Staaten sich selbständig machen wollen, Flamen und Katalanen und einige Südtiroler.

Kurz vor dem Referendum ließ die Neue Zürcher Zeitung ein Schotten besorgt fragen „Ist Unabhängigkeit auch Freiheit?“ Die gewünschte Antwort wurde mitgeliefert. Aber die könnte Sprengstoff sein. Eine Schlüsselfrage, denn der Umkehrschluss ist fatal, für das Freiheitsverständnis, für das Abhängigkeitsverständnis. Es triumphiert das ängstliche Einpassen in eine pragmatisch interpretierte Realität. Seid vernünftig, mit der Unabhängigkeit gewinnt ihr keine Freiheit! „Die Welt“ fokussierte ebenfalls borniert auf die nationale britische Stärke und das Pfund und befand „Abtrünnigen Schotten droht eine düstere Zukunft“. „Die Aufnahme in die EU ist keine Lösung.“ Der Satz klingt eigentümlich. Wie hat den die EU argumentiert im Zuge ihrer Erweiterungen?

In Großbritannien lasen sich die Botschaften wie ein Aufruf zum letzten Gefecht, verzweifelte Warnungen vor dem visionierten Chaos und Untergang. Ob The Times oder der Daily Telegraph, ob der Guardian oder Daily Mail oder Daily Mirror oder die Sun, sie alle überboten sich mit Warnungen eines Horrorszenarios.

Dennoch, eine Restwirkung der liberalen Tradition der Qualitätspresse, fanden sich in einigen Zeitungen Journalistenstimmen, die kritisch reflektierten, kritisch fragten, und sich damit sogar gegen die eigene Zeitungslinie stellten. Z. B. im Guardian, wo Suzanne Moore notierte „The language of the no camp – Westminster, bankers, Farage, Prescott, the Orangemen und Henry Kissinger – is innately patronising.” Wäre das in einem linken Blatt gestanden, man würde es als unqualifiziertes bashing der Konservativen, der Wirtschaft usw., abgetan haben. Denn, so en passant, zählt sie doch die wichtigen Kräfte, die eigentlichen Interessenten auf, die man im Terminus „Establishment“ zusammenfasst oder andeutet. Wer denken wollte, könnte. Das zu verhindern, gelang den Medien mit EU-Unterstützung für einmal mehr.

Britannien und die Europäische Union müssen sehr schwach sein, wenn sie sich auf solche Manöver abstützen müssen, um zumindest die formale Existenz zu gewährleisten. Beide haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. In Britannien haben die nationalen Werte verloren, in Europa die europäischen. Die vordergründige Geschäftsvernunft der herrschenden Realpolitik ist zu wenig.