Die subversive Komik des Jerry Lewis

Harmlos wirken die Komödien von und mit Jerry Lewis auf den ersten Blick, doch hinter der Blödelei und dem Slapstick des "Tölpels vom Dienst" verbergen sich immer Attacken auf die amerikanische Gesellschaft. Nicht ohne Grund bezeichnete Jean-Luc Godard Lewis deshalb als "den einzigen progressiven amerikanischen Filmemacher". Die Viennale widmet Lewis in Zusammenarbeit mit deim Österreichischen Filmmuseum ihre heurige Retrospektive.

Show und Schauspielerei wurden dem 1926 in New Jersey geborenen Jerry Lewis sozusagen in die Wiege gelegt. Schon seine Eltern Rae und Danny waren Entertainer, Jerry selbst gab mit fünf Jahren sein Bühnendebüt und begann 1942 als Unterhaltungskünstler. Der Erfolg stellte sich jedoch erst ein, als er 1946 auf Dean Martin traf. Gemeinsam stieg das Duo, das die Vorlage zu Rupert Holmes von Atom Egoyan verfilmtem Roman "Where the Truth Lies – Wahre Lügen" bildete, zu Stars des amerikanischen Kabaretts auf, ehe sie zum Film kamen und ab 1949 in 17 Komödien spielten.

Nach der Trennung von Martin drehte Lewis acht Filme mit dem ehemaligen Trickfilmzeichner Frank Tashlin, der in dem von einem Fettnäpfchen ins nächste tretenden Tollpatsch den idealen Protagonisten für seinen von Comics geprägten Komödienstil fand. Unter Tashlins Regie emanzipierte sich Lewis aber auch und begann ab 1960 selbst Filme zu drehen, ehe er sich nach "Which Way to the Front" (1970) für zehn Jahre zurückzog. Anfang der 80er Jahre versuchte Lewis mit wenig Erfolg ein Comeback, nur als schmieriger Entertainer in Martin Scorseses "King of Comedy" (1983) und als Komiker in Peter Chelsoms "Funny Bones" (1995) vermochte er nochmals zu brillieren.

Die Rollenverteilung in den Jerry-Lewis-Filmen ist immer in etwa die gleiche: Er spielt den durch die Erziehung durch eine Übermutter degenerierten Tollpatsch, der sich in eine bildhübsche und vielfach auch steinreiche Frau verliebt. Mit allen Mitteln versucht er sich an die Gesellschaft so anzupassen wie sein Kumpel Dean Martin, der ihm Mutterersatz ist, scheitert aber in seinem Bestreben und löst damit Chaos aus. So wird in Slapstickszenen die bürgerliche Welt mit ihren Normierungen und ihrem Konsumismus zertrümmert, die amerikanische Ideologie des „to be success“ verhöhnt und die Individualität gefeiert, wenn am Ende jeweils nicht der angepasste Martin, sondern Lewis, der gelernt hat, sich zu sich selbst zu bekennen, und aufgehört hat, die anderen zu imitieren, sein Ziel erreicht.

Nirgends hat Lewis die Abrechnung mit Amerika vielleicht schöner und treffender formuliert als in "The Nutty Professor" (1964). In diesem virtuosen Spiel mit dem Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Motiv parodiert Lewis gleichermaßen die Mechanismen des Gruselkinos wie gesellschaftliche Leitbilder. Die Normvorstellungen der Traumfabrik – und damit auch der Gesellschaft – werden lustvoll auf den Kopf gestellt, wenn der wenig ansehnliche und tölpelhafte Professor sich als Sympathieträger und der attraktive Strahlemann sich als Ekel erweist. In Rückblenden liefert "The Nutty Professor" dabei auch bissige Kritik an der amerikanischen Familie mit schwachen Vätern und dominanten Müttern.

Im Blick auf die Gesellschaft ist Lewis, der auch Universitätsdozent war und für sein soziales Engagement für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde, das amerikanische Pendant zum leisen Franzosen Jacques Tati. In Jim Carrey und Steve Martin lebt zwar die Art seiner Komik fort, doch das subversive Moment des Slapsticks von Lewis fehlt bei diesen Epigonen weitgehend und übrig bleibt oberflächlicher Klamauk.

Ausschnitt aus "The Nutty Professor"