Die Politik der Zugehörigkeit

Friendly Alien – ein prägender Spitzname für das Kunsthaus Graz, der dem Gebäude bereits in der Konzeptionsphase verpasst wurde und sich in den Köpfen der Grazer Bevölkerung festgesetzt hat. Von Anfang an als Außerirdischer tituliert, stellt sich die Frage, ob dem Kunsthaus Graz auch nach vierjähriger Präsenz in dieser Stadt dieser Beiname noch gerecht wird?

Wie lange muss man an einem Ort leben, um als heimisch zu gelten? Wodurch manifestieren sich Zugehörigkeiten und welche Formen des Zusammenlebens lassen sich finden? Das sind die Fragen, mit denen sich "Volksgarten. Die Politik der Zugehörigkeit", eine Ausstellung in Kooperation mit dem Steirischen Herbst, beschäftigt. Dem Thema des diesjährigen Steirischen Herbst, "Nahe genug?" entsprechend, bewegt sich die Ausstellung in die unmittelbaren Nachbarschaften des Kunsthaus Graz. Dabei versucht sie, ein umfassendes Porträt der Stadtbezirke Lend und Gries zu zeichnen, an deren Schnittstelle sich das Kunsthaus Graz befindet. Aufgrund ihrer ethnischen und sozialen Vielfältigkeit spannen beide Stadtviertel einen demografisch interessanten Raum rund um das Kunsthaus Graz und auch rund um die Ausstellung.

Die titelgebende Parkanlage im Bezirk Lend, die im 19. Jahrhundert für die Bewohnerinnen und Bewohner der so genannten Murvorstadt als Äquivalent zum innerstädtischen Stadtpark angelegt wurde, impliziert die sowohl metaphorische als auch konkrete Verortung eines offenen und demokratischen Raums, in dem vielfältige Identitäten geformt und somit auch verhandelt werden. Volksgärten sind im deutschsprachigen Raum in etlichen Städten zu finden und dienen nach wie vor der Erholung. Die sozialen Ungleichheiten und das gleichzeitige Nebeneinander unterschiedlichster Kulturen (in scheinbar friedlicher Koexistenz), die den umliegenden Bezirk charakterisieren, spiegeln sich im Grazer Volksgarten in vielerlei Hinsicht wider.

So scheinen etwa die buddhistische Stupa im Zentrum des Parks und die nur wenige Schritte davon entfernte katholische Kreuzkirche nicht im Widerspruch zueinander zu stehen, sondern vielmehr eine sakrale Einheit zu bilden. Das Bilden von Communitys ist eines der wesentlichen Merkmale, die sich im Stadtbild der Bezirke Lend und Gries aufgrund ihres interkulturellen Gepräges über Einrichtungen wie Callcenter und diverse AusländerInnenvereine, aber auch durch die vermehrte Ansiedelung der Kreativindustrie (Grafikbüros, Kunstinstitutionen, Designläden usw.) bemerkbar machen. Gleichzeitig bilden die beiden Bezirke – aus historischer Perspektive aufgrund ihrer Durchfahrtslage – seit jeher die Rotlicht- und Vergnügungsviertel mit der höchsten Dichte an Gaststätten und Bars der Stadt. Der täglich stattfindende Bauernmarkt am Lendplatz ergänzt das Bild einer dörflichen Struktur, die sich auch architektonisch in Form niedriger Häuser mit weitläufigen Hinterhöfen niederschlägt.

Die Ausstellung "Volksgarten. Die Politik der Zugehörigkeit" ist ein Spielplatz, auf dem auf vielschichtige Weise sozialer Raum thematisiert und in Frage gestellt wird. Die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler gehen auf die speziellen Gegebenheiten der Bezirke ein und vermitteln ihre Wahrnehmungen entweder als generelle Statements im Space02 des Kunsthaus Graz oder in Form partizipatorischer Projekte direkt in den Stadtvierteln: Das Schweizer KünstlerInnenkollektiv airline etwa errichtet einen Begegnungsort im Volksgarten (airtrain, 2007), der zu unterschiedlichen Aktivitäten wie kochen, musizieren oder Filmabenden einlädt und einen regen Austausch mit den Einwohnerinnen und Einwohnern der Bezirke anstrebt.

Die griechische Künstlerin Maria Papdimitriou stellt ein Orchester aus Immigrantinnen und Immigranten unterschiedlichster Herkunft zusammen (Volksgarten Orchestra, 2007), das sich am Tag nach der Ausstellungseröffnung im Orpheum präsentiert. Ausgehend von der Aussage der "World Happiness Survey" im Jahr 2003, Nigeria sei die glücklichste Nation der Welt, fokussiert das Projekt des niederländischen Künstlerduos Bik van der Pol wiederum das Thema des Lachens und dessen Einfluss auf unseren psychologischen, physischen und sozialen Zustand. Auch das österreichische Künstlerpaar Helmut und Johanna Kandl thematisiert das Glück der Bevölkerung von Lend und Gries. So ist auf bunten Luftballons, die im Volksgarten und an anderen Orten der Bezirke verteilt werden, in 15 verschiedenen Sprachen eine gewagte Behauptung zu lesen: "Ich werde hier leben und glücklich sein."

Im Ausstellungsraum im Kunsthaus Graz wird das Thema des Zusammenlebens auf einer allgemeingültigen Ebene verhandelt. In sehr persönlichen Arbeiten beleuchten die Künstlerinnen Sharon Lockhart und Özlem Sulak ihre jeweils eigene Herkunft – einmal als Porträt einer kalifornischen Community (Sharon Lockhart: Pine Flat, 2005) und einmal mit der Erzählung einer türkischen Familiengeschichte, die von Migration und Identitätskonflikten gezeichnet ist (Özlem Sulak: Granny, 2005). Der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn, der ein neues Projekt für die Ausstellung entwickelt, greift die Doppelbedeutung im englischen Untertitel (Politics of "Belonging" – was mit "Zugehörigkeit", aber auch "Besitztum" zu übersetzen ist) auf, stellt sich Fragen wie "Wo stehe ich?, Was will ich?" und beantwortet diese mit Element (Concept Car), 2007, einem skulpturalen Altar der Habseligkeiten auf Basis eines PKW.

Die Ausstellung "Volksgarten. Die Politik der Zugehörigkeit" erforscht also Identifikationssysteme und Strategien der Zugehörigkeit, die oftmals – und nicht zuletzt in der unmittelbaren Umgebung des Kunsthaus Graz – soziale Utopien hervorzubringen im Stande sind.


Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Christian Kravagna, Helmut Konrad, Suzana Milevska, Thomas Hirschhorn, Stephen Willats, Sissi Tax, Nira Yuval-Davis, Adam Budak und Katia Schurl.

Volksgarten. Die Politik der Zugehörigkeit
22. September 07 bis 13. Januar 08