Die neue Bescheidenheit des Jetsets

Mit der Ausstellung "Parrworld" setzt das Haus der Kunst die 2003 aufgenommene Reihe von Präsentationen fotografischer Sammlungen fort. Nach "Partners" der kanadischen Sammlerin Ydessa Hendeles, "Occupying Space" der Generali Foundation und "Der Körper der Photographie" der Sammlung Herzog, werden nun erstmals die Sammlungen von Martin Parr im Zusammenhang gezeigt.

Parr ist einer der dynamischsten zeitgenössischen Fotografen. Anerkannt als Satiriker zeitgenössischen Lebens hat er über dreißig Bücher publiziert, seine Bilder in unzähligen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt und ist mit seinen Werken in herausragenden nationalen und internationalen Kunstsammlungen vertreten. Dass Parr selbst sammelt, ist weitgehend unbekannt. "Parrworld" setzt seine eigenen Fotografien in einen Dialog mit seinen Sammlungen und spürt Querverweise und Zusammenhänge auf.

Parr, der Mitglied der legendären Fotoagentur Magnum ist, versteht auch das Fotografieren als einen Akt des Sammelns. In "Parrworld" wird seine neue Werkgruppe "Luxury" mit seinen Sammlungen von Fotografiebüchern, Postkarten, Objekten, britischer und internationaler Fotografie gemeinsam präsentiert. Zusammen entsteht eine mediale Wunderkammer, die zugleich ein Psychogramm ihres Urhebers ist. Durch das ironische Jonglieren mit dem Klischee des skurrilen britischen Sammlers verschiedenartiger Objekte legt sich Parr eine weitere Facette seiner Persönlichkeit zu. Seine Faszination für das Banale und seine Vorliebe für die Ausnahme von der Regel, für das Ungewöhnliche und Ausgefallene verleihen seinen Sammlungen ihre individuelle Note.

Martin Parr wurde Anfang der 80er-Jahre bekannt, als er sein Buch "Bad Weather" veröffentlichte, in dem er das landesübliche Wetter zum Thema machte. Seine Schwarzweißfotografien sind von einem besonderen Humor geprägt. Allerdings ist seine Fotografie kein Beispiel der "lachenden Kamera", sie macht sich nicht lustig auf Kosten anderer. Wenn der Regisseur Wim Wenders sagt, dass jede Kamera immer in zwei Richtungen fotografiere, dann trifft das auf die Arbeit von Martin Parr ganz besonders zu und ist Teil der Glaubwürdigkeit seiner Arbeit. Der Fotograf selbst betont, dass man seine Arbeit als zeitgenössisches Gesellschaftsbild, aber auch als Selbstporträt verstehen kann.

In den 80er-Jahren wechselte Parr zur Farbfotografie und behandelte in umfangreichen Serien Freizeitgestaltung, Konsumverhalten, Massentourismus, Mobilität und Kommunikation. Nationale Eigenheiten, ihre globale Nivellierung und internationale Phänomene werden dabei von ihm auf ihre Gültigkeit als Symbole für das zukünftige Verständnis unserer Kulturkreise untersucht. Es wird so möglich, eine Analyse der sichtbaren Zeichen der Globalisierung mit ungewöhnlichen Seherfahrungen zu verbinden. Individuelles wird gegen Universelles gesetzt, Widersprüche bleiben unaufgelöst, Eigenheiten werden akzeptiert und Skurriles geschätzt.

Parr bezeichnet die Macht der allgegenwärtigen Bilder in den Medien und der Werbung als "Propaganda". Er widerspricht mit den Mitteln der Kritik, der Verführung und des Humors. Viele seiner Aufnahmen wirken übertrieben, zum Teil grotesk-eigenartige Motive, grelle Farben, verdichtete Perspektiven. Seine Fotografien sind originell und unterhaltend, zugänglich und verständlich.

Für seine neue Serie "Luxury" hat Martin Parr an internationalen Orten wie Dubai, Durban oder Moskau Modenschauen, Kunst- und Luxusmessen, Pferderennen sowie in München beim Oktoberfest fotografiert. Bescheidenheit ist nicht unbedingt eine ausgeprägte Charaktereigenschaft der Vertreter eines internationalen Jetsets, die stolz die Insignien neuen Geldes und äußerlichen Wachstums präsentieren. Konsequent wendet sich Parr nach seinen früheren Projekten über die Arbeiter- und Mittelklasse mit den Mitteln der Groteske nun dem Phänomen einer neuen internationalen Upperclass zu.


Zur Ausstellung erscheinen bei Chris Boot Ltd zwei Veröffentlichungen: Martin Parr, "Objects" (mit einer Einführung von Martin Parr; 176 Seiten, 500 farbige Abbildungen, ISBN 978-1-905712-08-3) und Martin Parr, "Postcards" (mit einem Essay von Thomas Weski; 336 Seiten, 750 farbige Abbildungen, ISBN 978-1-905712-10-6).

Parrworld
7. Mai bis 17. August 2008