Die Kunst der Einfachheit

11. Februar 2008
Bildteil

Wie erfrischend ein Film sein kann, in dem jede Handlung in die Schwarzblenden zwischen den einzelnen Szenen verbannt ist, zeigt bei der Berlinale der Mexikaner Fernando Eimbcke mit "Lake Tahoe" und steht damit in wohltuendem Kontrast zum hoffnungslos überkonstruierten finnischen Thriller "Musta Jää – Black Ice".

An ihrem Geburtstag entdeckt die Gynäkologin Saara, dass ihr Mann schon länger eine Affäre mit einer seiner Studentinnen hat. Zuerst macht sie ihm zwar eine Szene, doch dann beginnt sie sich über die Geliebte zu informieren. Weil sie wissen möchte, wer das denn nun sei, die ihr Mann da liebt, schreibt sie sich auch in den von Tuuli geleiteten Selbstverteidigungskurs ein. Die Geliebte und die eine andere Identität angebende Ehefrau lernen sich kennen und scheinbar entwickelt sich eine Freundschaft, doch in Wahrheit sinnt Saara nur auf Rache.

Die Idee von "Musta Jää – Black Ice" ist ja interessant, doch der finnische Regisseur Petri Kotwica überdehnt sie in einem zwar raffiniert aufgebauten, aber gleichzeitig hoffnungslos überkonstruierten Drehbuch völlig. Dass aus dem Ehedrama ein Thriller wird trägt zwar zunächst zur Spannungssteigerung bei, doch mit Fortdauer entsteht aufgrund zahlreicher Twists ein Glaubwürdigkeitsproblem, das man wohl nur durch eine Wende zur Komödie, die sich kurz anzubahnen scheint, auffangen hätte können. – Handwerklich routiniert gemacht, mit durchaus schicken Bildern bleibt somit ein in erster Linie fürs Hauptabendprogramm des Fernsehens tauglicher Film.

Dort wird man Fernando Eimbckes "Lake Tahoe" kaum zu sehen bekommen. Der titelgebende kalifornische See kommt nur am Ende auf einer Postkarte als fernes Paradies vor. Der Film an sich spielt in einer Kleinstadt oder Vorstadt in Mexiko, doch der geographische Raum ist ebenso unwichtig wie Action. Schon der Autounfall mit dem der Film beginnt wird ins visuelle Off verbannt und nur durch ein Krachen während einer Schwarzblende vermittelt.

Immer wieder trennt Eimbcke einzelne Einstellungen oder Szenen durch Schwarzblenden, in denen mehr passiert als in den Bildern.
Denn diese langen statischen Einstellungen - vielfach Totalen - fangen Stillstand ein oder auch das ganz alltägliche langweilige Leben in der verschlafenen mexikanischen Kleinstadt. Von beinahe nichts anderem als der Suche Juans nach einem Ersatzteil für das beschädigte Auto handelt "Lake Tahoe", doch diese Suche führt zu Begegnungen mit dem alten Mechaniker Heber und seinem Hund, dem jungen Mechaniker David oder der jungen Mutter Lucia.

Ohne Musik, sondern auf leisen Autolärm oder das Rauschen von Blättern im Wind vertrauend, und ohne große Dialoge, aber durchsetzt mit wunderbarem trockenem Humor macht Eimbcke sichtbar, dass diese Begegnungen, menschliche Nähe und Umarmungen angesichts des Schmerzes, der Trauer und Verzweiflung, die langsam beiläufig sichtbar werden, weit wichtiger sind als sonstige Aktionen. Und so wird Juan, der Hilfe sucht, letztlich zum Helfer, der David ins Kino zu einem seiner geliebten Kung-Fu-Filme begleitet, bei Lucia auf das Baby acht gibt oder für seinen kleinen Bruder Waffeln backt.

Unübersehbar ist bei dieser Entschleunigung und Lakonie - wie schon bei Eimbckes Debüt "Temporada de Patos" - die Orientierung an Jim Jarmuschs frühen Filmen wie "Permanent Vacation" oder "Stranger Than Paradise". Und wie diese Filme lehrt auch "Lake Tahoe" gerade in seiner Reduktion das Hören und Sehen und wirkt in seiner Klarheit und Einfachheit innerhalb der Bilderflut der Berlinale belebend wie kühles und frisches Quellwasser.