Die hohe Kunst des Sehens

Vom 5. Juli bis 4. September 2008 ist in der Wiener Secession die Ausstellung "Das Auge" des Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn zu sehen. Größere internationale Bekanntheit erlangte Hirschhorn durch die Installation "Swiss-Swiss Democracy" im Schweizer Kulturzentrum Paris, 2004. Diese war Medienberichten zufolge ein Skandal, Stein des Anstoßes war das Kollagieren von Folterbildern aus dem Irak mit Wappen der Schweizer Kantone; ein Detail in der für Hirschhorn typischen, unübersichtlichen Architektur der Installation.

Das Auge

"Das Auge" ist der Titel meiner Ausstellung in der Secession. "Das Auge" hat nichts zu tun mit Georges Bataille - den ich verehre. Ich will – als Künstler – eine Arbeit machen, die sich in keinem Fall historischen Tatsachen beugt. Mit der Arbeit "Das Auge" will ich diesem Widerstand gegen die Tatsachen eine Form geben. Ich will eine Arbeit machen, die sich nicht den Tatsachen beugt und die den historischen Fakten widersteht. Und ich will mit dieser Form eine universelle Wahrheit schaffen.

"Das Auge" widersteht den Tatsachen, es widersteht indem es sieht – indem es nur sieht. Die Ausstellung, die Arbeit "Das Auge" will eine Setzung sein. Eine Setzung ist eine Behauptung der Form gegeben wurde. Die Form dieser Setzung – "Das Auge" – besteht darin, dass "Das Auge" sieht aber "Das Auge" versteht nicht. Niemand muss andererseits "Das Auge" verstehen, niemand muss mit dem "Das Auge" einverstanden sein und niemand muss mit dem "Auge" in Kontakt treten. "Das Auge" sieht, "Das Auge" zeigt, "Das Auge" benennt und "Das Auge" "ist". "Das Auge" sieht und es ist da, es sieht und ist dadurch da und es ist da weil es sieht.

Ich will mit der Arbeit "Das Auge" – wie immer – die Konditionen für einen Dialog oder eine Konfrontation schaffen – das ist die Behauptung – und ich will es mit dieser Arbeit auch tun. Ich will es tun dadurch, dass "das Auge" "nur" sieht. Denn das "nur" sehen ermöglicht die Öffnung. Die Öffnung für den Anderen, die Öffnung um sich mit der Arbeit zu implizieren. "Das Auge" sieht "nur" und es bleibt dadurch autonom. Und "Das Auge" besteht darauf zu sehen ohne selbst zu verstehen.

"Das Auge" sieht nicht alles - aber es sieht alles was Rot ist. "Das Auge" sieht nur die Farbe Rot. Es kann also nur Rot aufzeigen, es kann nur Rot benennen und es kann nur Rot "sein". Das Rot – das "Das Auge" sieht – ist sowohl das Blut der durch Kriegs- und Terrorgewalt Verwundeten und Toten, das Rot ist das Blut der abgeschlachteten Robbenbabys, das Rot ist das Rot der gegen die Verarbeitung von Pelzmänteln protestierenden Mannequins, das Rot ist das Rot der sich verzweigenden Kapillargefässe, das Rot ist das Rot der Nationalwappen die die Farbe Rot haben und das Rot ist das Rot der Karton-Herze, das Rot ist ganz einfach nur die Farbe "Rot".

Die Farbe Rot schafft die Verbindung und den Bezug - über das Verstehen hinaus – und über die Information, über die Meinung und über den Kommentar hinaus. "Das Auge" verweigert, etwas anderes zu sehen, etwas anderes zu zeigen, zu benennen und zu sein als "Das Auge".

Thomas Hirschhorn


Thomas Hirschhorn lebt und arbeitet in Paris, Frankreich. Der in Bern geborene Thomas Hirschhorn wuchs in Davos auf, besuchte die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich und gewann ab Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts internationale Anerkennung für seine Installationen. Hirschhorn versteht sich nach eigener Aussage als ein Künstler, der "politische Kunst macht".


Thomas Hirschhorn - Das Auge
5. Juli bis 4. September 2008