Die Haltlosigkeit des Raumpflegers Antonio Gracia Alberto

Der Winterthurer Künstler Mario Sala (* 1965) hat sich mit seinem eigenwilligen und rätselhaften Schaffen einen festen Platz unter den anerkannten Schweizer Kunstschaffenden seiner Generation erworben. Sein multimediales Werk zwischen Zeichnung, Malerei, Fotografie, Objektkunst und Installation verweigert sich schnellen Zugriffen. Sala sucht Übergangsbereiche, deren Offenheit und suggestive Wirkung das Publikum als Spieler, Wanderer oder Leser ansprechen.

Nach den grossen Einzelausstellungen im Kunstmuseum Winterthur (2001) und im Helmhaus Zürich (2004/05) unternimmt die Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn anhand thematischer Schwerpunkte erstmals den Versuch, das aktuelle Schaffen auf ausgesuchte Werkgruppen früherer Jahre zu beziehen.

Bei der Bedeutung, die Mario Sala dem räumlichen Erleben beimisst, erstaunt es nicht, dass der Künstler für seine Solothurner Ausstellung auf die spezifischen Raumverhältnisse des neoklassizistischen Baus eingeht und darin dem Publikum einen eigentlichen Parcours anbietet, jedoch mit vielfach gebrochenen Wegen und Irrwegen. Dass er dabei die Dimensionen und Massstäbe stetig wechselt, real erfahrbare Räume und imaginierte Räume, grosse Installationen und kleine Planzeichnungen gleichwertig nebeneinander stellt, liegt bei Salas Leitmotiv des "Driftens" zwischen Traum und Realität auf der Hand. Der Künstler nutzt für seine Ausstellung denn auch nicht nur die beiden Parterre-Flügel, sondern auch Teile des Foyers und des Treppenhauses. Zum Thema wird der reale Raum des Kunstmuseums Solothurn selbst, seine machtvolle Symmetrie, die Ordnung der Raumfolgen, deren Begehung Sala durch Engpässe erschwert, durch eigentliche Blockaden gar ganz verunmöglicht. Auch der literarisch anmutende Titel Die Haltlosigkeit des Raumpflegers Antonio Gracia Alberto, der an Pessoa oder Kafka erinnert, unterstreicht das räumliche und seelische Gefühl der Unsicherheit.

Neben dem installativen Anspruch, der die Solothurner Ausstellung bestimmt, wird die Institution Museum auch inhaltlich befragt, geht es doch in der neuen, erstmals präsentierten Bildserie 3-Wetter-Taft um eine in der Eremitage St. Petersburg, in der Nationalgalerie Berlin sowie im Museum of Modern Art New York vor Ort unternommene Recherche. Die drei mehrteiligen Bilder-"Sets" verbinden unterschiedlichste Elemente der drei Orte, etwa deren Inhalte, Atmosphäre, Architektur oder Umgebung. Dabei wird Gesehenes und Imaginiertes assoziativ miteinander verbunden.

Dass Mario Sala die Institution Museum mit ihrem Versprechen der Sinnstiftung in die Nähe der Kirche rückt, wird an einer Häufung von christlich anmutenden Motiven sichtbar. Der Künstler stellt u.a. seine Serie der Herrgott-Bilder (2007) aus, die mit der Darstellung der vier Jahreszeiten an spätmittelalterliche Stundenbücher erinnern. Die Symmetrie des Museums mit seiner zentralen Treppe und der Kreuzform des Grundrisses verstärkt das Gefühl einer fast religiösen Erhabenheit, die das 19. Jahrhundert seinen Musentempeln beimass. Sala reagiert auf die architektonische Dreiteilung in Zentral- und Flügelbauten mit Zeichnungen der Trinität und der drei Golgotha-Kreuze. Auch fünf riesige, teils farbige Spiegelobjekte, halb Gemälde und halb Relief, erinnern an Altar-Schreine und sind leitmotivisch auf die ganze Ausstellung verteilt. Zugleich sind sie mit ihrer vielfach gebrochenen Spiegelfläche Instrumente einer zeitgenössischen (Selbst-)Reflexion.

Die Beziehung zwischen Raum und symbolischer Bedeutung wird in einer Auswahl von Zeichnungen der Jahre 1991 bis 1998 unterstrichen: Parkhaus, Stadion, Getränkehandel und Intensivstation heissen die alltäglichen und doch so befremdlich anmutenden Orte. Als Leitfigur tritt in ihnen ein "Drifter" auf, der – genauso wie der Raumpfleger Antonio Gracia Alberto in seiner Haltlosigkeit zwischen Versuchung, Gnade und Reinheit – für den Künstler selbst und sein Publikum stehen mag, das ihm auf seinen Wegen folgt.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst, Nürnberg, ein zweisprachiges Buch (D/E, 184 Seiten) mit zahlreichen Abbildungen sowie Aufsätzen von Barbara von Flüe, Hans-Rudolf Reust, Roswitha Schild und Christoph Vögele. Ausstellung und Buch gehören zum Förderprogramm Binding Sélection d’Artistes, mit dem die Sophie und Karl Binding Stiftung Basel seit 2004 zur Vermittlung von Schweizer Kunstschaffenden beiträgt.
Christoph Vögele


Die Haltlosigkeit des Raumpflegers Antonio Gracia Alberto
2. Mai bis 2. August 2009