Die Gewissheit des Todes

17. März 2018 Bernhard Sandbichler
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Killen wir uns im Gesundheitswahn, um länger zu leben? Ein zweifelhaftes Vergnügen, findet die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Barbara Ehrenreich, Jahrgang 1941, und rät dazu, den Dingen ihren Lauf zu lassen.

  • Achse 1: Diagnose
    Damit das "Ich" zum Gott erhoben werden konnte, musste die beseelte Natur ihren Geist aushauchen und Gott tot sein wie überhaupt alle Materie: mechanistisch funktionell.
     
  • Achse 2: Prognose
    Am Horizont der Wissenschaft freilich dräut längst ein Paradigmenwechsel hin zur Annahme einer natürlichen, von nichtmenschlicher handelnder Kraft durchwalteten Welt herauf, einer Welt, die man anerkennt und zu verstehen versucht.
     
  • Achse 3: Entwicklung
    "Wir sind", sagt der eben verstorbene Quantenphysiker Stephen Hawking, "das Produkt von Quantenfluktuationen im sehr frühen Universum. Gott würfelt wirklich nicht."
     
  • Achse 4: Intelligenz
    Was wir in der Zwischenzeit tun können: Gegen das monströse Ich angehen, das uns den Blick verstellt, uns von anderen Wesen trennt und den Tod zu einer so unerträglichen Aussicht macht.
     
  • Achse 5+6: Körper+PsycheWas wir sind: erstens ein Körper, der sich nicht wie ein Klumpen Lehm beliebig formen lässt, sondern ein System von Organen, Geweben und Zellen ist, die keineswegs harmonisch zum Gesamtwohl agieren; zweitens eine Psyche, ein bewusst denkender Geist, freilich von Sprache, Kultur und gegenseitigen Erwartungen vollständig mit Gedanken anderer durchsetzt.
     
  • Achse 7: Alltag
    Das Leben, schreibt Ehrenreich, ist zu kurz, um auf Genüsse und Laster zu verzichten. Und ohne sie wäre es deutlich zu lang. Es gilt auf quälende heroische Eingriffe, die das Leben um einige Stunden oder Tage verlängern können, zu verzichten. Erträglich wird das Lebensende durch Hospize, Schmerzmittel, psychedelische Substanzen und Gesetze, die den assistierten Suizid erlauben. Erst wenn man so dem Leben entrückt ist, wird das Universum lebendig und der Tod kein erschreckender Sprung in den Abgrund.
     

Barbara Ehrenreich: Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle. Aus dem amerikanischen Englisch von Ursel Schäfer, Enrico Heinemann. München: Antje Kunstmann 2018, 254 Seiten, EUR 22,70