Die Fotosammlung von Maria und Christian Skrein

Die Ausstellung "Tell Me What You See. Skrein Photo Collection" würdigt den Fotografen und Sammler Christian Skrein (1945 Wien, AT). In den 1960er-Jahren machte der junge Skrein zunächst als Fotoreporter und dann als Werbe- und Modefotograf Karriere; später fühlte er sich von den Künstler_innen, Designer_innen und Architekt_innen der jungen Wiener Avantgarde angezogen. Er war während der Swinging Sixties stets dort, wo der Zeitgeist pulsierte. 1965 fotografierte er die Beatles bei Filmaufnahmen in Obertauern und die Rolling Stones bei ihrem Konzert in der Wiener Stadthalle.

1966 eröffnete Skrein ein Atelier für Mode- und Werbefotografie in Wien und später ein zweites in Mailand. Ausgestattet mit einer erstklassigen Fotoausrüstung, schaffte er es bis in die Vogue. Sein Repertoire umfasste fotografische Experimente, Straßenfotografie, Fotoreportagen, Werbe- und Modefotografie und Künstlerporträts. Skrein war mit Walter Pichler, Arnulf Rainer, Hans Hollein, Friedensreich Hundertwasser, Oswald Wiener und vielen anderen – auch internationalen – Künstlern gut bekannt. Für kurze Zeit wurde er zu einem wichtigen Porträtisten der avantgardistischen Künstler der Galerie nächst St. Stephan, der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus sowie von Christo und Joseph Beuys.

Doch 1970 beendete er seine Karriere als Fotograf, legte die Kamera aus der Hand und widmete sich fortan dem Werbefilm, seiner Produktion und der Regiearbeit. Anstelle des Fotografen Skrein trat der passionierte Sammler immer stärker in Erscheinung.

Die Skrein Photo Collection

Das Ergebnis dieser mittlerweile mehr als fünfzig Jahre andauernden Leidenschaft ist eine der weltweit großen Sammlungen von Schnappschussfotografie. Für deren Rezeption kann die Sammlung eine Vorreiterrolle beanspruchen. Die thematisch weitgefächerte Kollektion besticht durch wichtige Ikonen der Fotografiegeschichte: Vertreten sind etwa Robert Capas "Falling Soldier", die berühmte Kuss-Szene von Alfred Eisenstaedt und der Eunuch am kaiserlichen Hof der letzten Dynastie in China von Henri CartierBresson. Ferner finden sich in der Sammlung Raritäten von Aenne Biermann, Ilse Bing, Walker Evans, Gisèle Freund, Dorothea Lange, Man Ray, August Sander, Edward Weston und vielen weiteren bedeutenden Fotograf_innen. Hervorzuheben ist auch jenes Konvolut kubanischer Fotografie, das Skrein zusammen mit seiner Frau Maria seit den 1990erJahren aufgebaut hat. Die rund 4500 Fotografien bilden ein einzigartiges visuelles Kondensat der Ereignisse der Kubanischen Revolution und der kubanischen Lebenswirklichkeit in den Jahren von 1953 bis 1968.

Den Schwerpunkt der Sammlung von Maria und Christian Skrein bilden Aufnahmen aus der Zeit von 1920 bis 1970, aber auch historische Fotografien aus dem 19. Jahrhundert sind umfangreich vertreten. Die Ausstellung "Tell Me What You See. Skrein Photo Collection" und die begleitende Publikation versuchen erstmals, die ganze Vielfalt dieser gewaltigen Sammlung sichtbar und erfahrbar zu machen. Dabei wird der Anspruch erhoben, mit über 300 Fotografien, die in 12 Kapiteln geordnet sind, das Profil des Sammlerpaares und dessen Herangehensweise, Vorlieben und Expertise deutlich werden zu lassen.

Die Kapitel der Ausstellung "Tell Me What You See. Skrein Photo Collection"

Der Sammler als Fotograf

Die Sammlungspräsentation wird durch den Gedanken zusammengehalten, dass Fotograf_innen stets auch Bildersammler_innen sind. Bevor Christian Skrein sich auf das Sammeln der Bilder anderer Fotograf_innen verlegt hat, machte er selbst Aufnahmen, denen sich das erste Kapitel widmet. Dazu gehören etwa das auf einem Foto von Skrein basierende Cover der Erstausgabe des rororo-Taschenbuchs "Die Verbesserung von Mitteleuropa" von Oswald Wiener und ein von Arnulf Rainer übermaltes Ausstellungsplakat mit einer Fotografie von Skrein.

Vue d’en haut / Plötzlich diese Übersicht

Im zweiten Kapitel wird eine spezifische Form der Kameraperspektive untersucht: der Blick von oben. Hier trifft das vermutlich bekannteste Foto, das Berenice Abbott vom nächtlichen New York gemacht hat, auf René Burris suggestive Aufnahme von São Paulo. Mit Richard Peter blicken wir auf das zerstörte Dresden und mit Giorgio Sommer auf Pompeji.

Spuren

Fotografie kann auf sehr grundsätzliche Weise als Spurensicherung betrachtet werden. Es gibt in der Skrein Photo Collection eine Fülle fotografierter Details und Indizien, die explizit als eine Form von Beweismaterial dienen können. Darunter sind der vermeintliche Fußabdruck des Yeti von 1951 und der vielleicht berühmteste Stiefelabdruck aller Zeiten, nämlich der von Buzz Aldrin auf dem Mond von 1969, fotografiert von Neil Armstrong.

Formationen

Bei der Erfassung verschiedener von der Natur vorgegebener Formationen spielt die Komposition eine entscheidende Rolle – ein zentrales Kriterium für künstlerische Fotografie. Ein Beispiel für solche natürlichen, aber vom Fotografen kadrierten Formationen sind etwa Vögel in der Luft; ein Motiv, das etwa ein erstaunlich frühes Bild der Sammlung aus der Zeit um 1880 zeigt. Einer geheimen Choreografie zu folgen scheinen Mario Giacomellis im Schnee tanzende Seminaristen gleichermaßen wie die Papierflieger bei einer Kundgebung von Fidel Castro auf einem Foto von Raúl Corrales.

Die Welt der Dinge

In der Geschichte der Fotografie haben sich die Betrachtung und die Erfassung von Gegenständen ebenso verändert wie unser Umgang mit ihnen. Es gibt in der Sammlung Artefakte wie die Rüstung auf einer Fotografie Andreas Grolls aus dem Jahr 1851, das Bild einer Kuh von Nadar jeune und Aenne Biermanns Aufnahme von Mohnblumen. Aber auch etwa ein mathematisches Objekt von Man Ray und Lucia Moholys Ventilator im Wohnzimmer des Meisterhauses von Walter Gropius in Dessau sind Belege für die Anziehung zwischen Mensch und Objekt.

Schöne Fehler

Wie produktiv sogenannte Fehler in der Fotografie sein können, füllt ganze Bücher. Diese Fehler, mit denen sich geniale Bildwirkungen erzielen lassen, unterlaufen nicht nur Amateurfotograf_innen. Doppelbelichtungen können zu Geistererscheinungen führen, mit Spiegelungen und Schatten kann eine geradezu hypnotische Wirkung erzeugt werden. Genauso können Fehler als Mittel bewusst eingesetzt sein. Und dann gibt es noch die glücklichen Zufälle. Alle drei Varianten werden in diesem Kapitel durchdekliniert.

Schattenspiele

Fotografie ist ohne das Bild des Schattens nicht denkbar. Die Bandbreite in der Skrein Photo Collection reicht von Schnappschüssen, auf denen der Schatten des Fotografen versehentlich im Bild ist, über humoristische oder grafisch wirkungsvolle Aufnahmen, bei denen die Schattenwirkung virtuos inszeniert wird, bis zum Schattenbild der Fotogeschichte schlechthin, der Röntgenfotografie.

Der entscheidende Augenblick?

Bei vielen Fotografien handelt es sich um vermeintlich oder tatsächlich dokumentarische Aufnahmen. Oft sind unwiederholbare Momente, zufällige Konstellationen, unverwechselbare Gesichtsausdrücke oder Kristallisationspunkte, anhand derer historische Entwicklungen sichtbar werden, abgebildet. Häufig hat sich erst später herausgestellt, dass ein Moment nicht als Schnappschuss festgehalten, sondern inszeniert wurde. In der Sammlung gibt es illustre Beispiele: von Eddie Adams über Robert Capa bis zu Jewgeni Chaldej und Robert Lebeck.

Göttinnen und Götter

Es gibt kein Medium, das besser geeignet wäre, Intimität mit scheinbar Unerreichbarem herzustellen, als die Fotografie. Die Verbreitung ikonischer Bilder simuliert seine Verfügbarkeit. In diesem Kapitel trifft die mexikanische Göttin Coatlicue, 1890 von William Henry Jackson fotografiert, auf Bilder von Marilyn Monroe und Jayne Mansfield. Gisèle Freunds Porträt von Frida Kahlo ist hier ebenso zu finden wie die Bilder einer Reihe männlicher Heroen, etwa Che Guevara, von dem in der Skrein Photo Collection sowohl berühmte als auch unbekannte Aufnahmen existieren.

Wunderbare Willkür

Handelt es sich bereits bei „Göttinnen und Götter“ um eine diskussionsanregende und ironieverdächtige Typisierung, so könnten die in diesem
Kapitel versammelten Fotografien genauso gut in die vorherige Abteilung
gehören: Lisette Models fröhliche Badende von Coney Island ist dafür ein
schönes Beispiel.

Lokalkolorit / Globalkolorit

Seit der Erfindung des Mediums war die Reisefotografie – neben dem Porträt – eines der wichtigsten Betätigungsfelder von Fotograf_innen. Das Material in der Skrein Photo Collection erlaubt es, verschiedene Aspekte zu untersuchen, beispielsweise technische Innovationen. So befindet sich etwa das berühmte Foto der Brüder Bisson La Crevasse von 1862 in der Sammlung. Lebendige Einblicke und oft ungestellte Eindrücke werden möglich, wie etwa das Anteil nehmende Kinderfoto von Edith Tudor-Hart, die von ihrem Bruder als „Auge des Gewissens“ bezeichnet wurde.

Fotografen als Bildersammler

Hier werden, wie in der gesamten Ausstellung, auf undogmatische Weise die Porträts berühmter Fotograf_innen mit Bildern von Amateur_innen gemischt. Dazu gehört das Remake des berühmten Selbstporträts von Ilse Bing, das Abe Frajndlich 55 Jahre später anfertigte. Andreas Feiningers ikonische Aufnahme des Fotojournalisten Dennis Stock, bei der das Objektiv die Augen verdeckt, wurde als das Fotografenporträt des 20. Jahrhunderts bezeichnet und ist ebenso bekannt wie das Selbstporträt von Umbo.

Tell Me What You See
Skrein Photo Collection
12. Juni bis 17. Oktober 2021
Kuratorinnen: Kerstin Stremmel mit Andrea Lehner-Hagwood