Die Fotografien des Bregenzer Nationalsozialisten Werner Schlegel

Ein Zufallsfund auf einem Flohmarkt erwies sich als Glücksfall für die historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Vorarlberg. Auf 4000 überlieferten Bildern dokumentierte der Bregenzer Fotograf Werner Schlegel den gesellschaftlichen "Umbruch" in den Jahren unmittelbar nach dem "Anschluss" 1938 bis etwa 1941.

Sie zeigen nicht nur Massenaufmärsche und Parteiveranstaltungen, sondern auch die später oft geleugnete Begeisterung für den Nationalsozialismus. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs widmen das Vorarlberg Museum und die Vorarlberger Landesbibliothek diesem Thema eine Ausstellung. Dazu erscheint eine Sonderausgabe des Museumsmagazins.

Werner Schlegel fotografierte große Massenaufmärsche, Parteiveranstaltungen am Bregenzer Kornmarktplatz oder am Dornbirner Realschulplatz und hielt Auftritte hochrangiger NS-Funktionäre wie Gauleiter Franz Hofer und Reichsjugendführer Baldur von Schirach in Vorarlberg fest. Die Begeisterung der Massen war überdeutlich, das nationalsozialistische Gedankengut in weiten Teilen der Vorarlberger Gesellschaft tief verankert. Die Dynamik der Massen und ihre politische Instrumentalisierung zeigen, wie die Nationalsozialisten auf den wachsenden Einfluss der Massenbewegungen und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit reagierten. Sie schufen Rituale und setzten auf die Manipulation von Emotionen. Dabei spielten nicht nur die minutiös inszenierten Aufmärsche eine entscheidende Rolle, sondern vor allem das Versprechen einer nationalen Erneuerung, das in die Reden der NS-Größen eingewoben war. Diese Reden zielten auf den Beifall des enttäuschten Publikums und versprachen eine Erlösung von der erlebten sozialen und wirtschaftlichen Unsicherheit.

Werner Schlegels (1908-1945) Engagement für die Nationalsozialisten ging weit über die Rolle eines reinen Dokumentarfotografen hinaus. Der aus Bregenz stammende, überzeugte Nationalsozialist Schlegel, der sich bereits in der Illegalität in der Bewegung engagierte, war in die Parteistrukturen eingebunden und wurde beispielsweise Obermeister der Vorarlberger Fotografeninnung. Nach einer Lehre im renommierten Bregenzer Fotohaus Risch-Lau und weiteren beruflichen Stationen im In- und Ausland betrieb er ein eigenes Fotostudio in Bregenz und nahm gleichzeitig Aufträge der NSDAP an, die ihn finanziell und sozial absicherten. Seine Werke spiegeln eine bestimmte Bildsprache und Ästhetik wider, die ganz im Sinne des Nationalsozialismus die Masse und das kollektive Erlebnis in den Vordergrund stellt. Sie betonen Gehorsam und Ordnung der „Volksgemeinschaft“ und lassen das Individuum hinter der Gemeinschaft verschwinden. Schlegels Sammlung zeugt nicht nur von der Begeisterung für den Nationalsozialismus in Vorarlberg, sondern beleuchtet auch die zentrale Rolle der Fotografie als Medium der Inszenierung und Vereinnahmung. Dies macht Schlegels Werk zu einer wichtigen Quelle für das Verständnis nationalsozialistischer Propaganda im regionalen Kontext.

Eine freundliche ältere Dame - entfernt mit Schlegel verwandt - bot den Fotografennachlass auf verschiedenen Bregenzer Flohmärkten an. Der Bregenzer Restaurator Arno Gehrer entdeckte 2016 die qualitativ hochwertigen Bilder - nicht nur Propagandaaufnahmen, sondern auch Reisereportagen, Porträt- und Aktfotografien sowie künstlerisch-experimentelle Collagen. Nach einiger Überzeugungsarbeit erwarb er das Konvolut und übergab 2023 rund 4.000 Bilder aus der NS-Zeit der Vorarlberger Landesbibliothek.

Die umfassende Digitalisierung und Veröffentlichung dieser Sammlung auf der Plattform „volare“ stellte die Bibliothek vor neue ethische und rechtliche Herausforderungen. Durch Maßnahmen wie Kontextualisierung, kommentierte Beschreibungen und eingeschränkte Downloadmöglichkeiten wird versucht, diese Fotografien historisch zu verorten und Missbrauchspotentiale einzuschränken.

Wie kann man NS-Propagandafotos ausstellen, ohne NS-Propaganda zu machen? Schlegels Bilder werden in Beziehung gesetzt zu Hinweisen auf Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Mit verfolgten Jüdinnen und Juden, Euthanasie- und KZ-Opfern, aber auch mit Todesanzeigen von Gefallenen, die für „Führer, Volk und Vaterland“ den vermeintlichen Heldentod gestorben sind. Auch Werner Schlegels eigene Todesanzeige aus dem Jahr 1945 ist zu sehen. Von den 35.000 Vorarlberger Soldaten kehrten 8.000 nicht mehr in die Heimat zurück.

Die Ausstellung, die begleitende Sonderausgabe des Museumsmagazins und der Online-Zugang über die Plattform „volare“ verstehen sich als Einladung an Öffentlichkeit und Wissenschaft, sich 80 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes intensiv mit dieser Epoche der Vorarlberger Geschichte auseinanderzusetzen und das komplexe Zusammenspiel von Propaganda, Massenpsychologie und fotografischer Ästhetik zu reflektieren. Schlegels Werk dokumentiert das öffentliche Leben und die Ereignisse im nationalsozialistischen Vorarlberg so detailliert wie kaum eine andere bekannte Fotosammlung. Vor diesem Hintergrund sollen nicht nur Einblicke in die regionale Geschichte und die Mechanismen nationalsozialistischer Propaganda geboten, sondern auch das gesellschaftliche Bewusstsein für die Gefahren der Manipulation von Massen geschärft werden. In einer Zeit, in der das Aufkommen neuer Medien und digitaler Plattformen zu ähnlichen Beeinflussungsdynamiken führen kann, versteht sich das Projekt als Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit kollektiven Emotionen und deren politischer Instrumentalisierung.

Die Fotografien des Bregenzer Nationalsozialisten Werner Schlegel aus den Jahren 1938-1941
Wir waren begeistert. Warum?
Ausstellung im Atrium
25. Jänner bis 6. April
Eintritt frei