Die Eroberung der Wand

Was haben tätowierte Säulen, ein duftendes Seifenfresko oder ein ornamentaler Teppich aus Silikon mit religiösen Wandmalereien des 19. Jahrhunderts zu tun? Diese und viele weitere Fragen beantwortet die Ausstellung "Die Eroberung der Wand. Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart" im Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Ihren Ausgangspunkt bilden zwölf monumentale Fresken – die zwölf Apostel – des Malers Johann von Schraudolph (1808 – 1879).

Die rund 4 m hohen Fresken befanden sich ursprünglich gemeinsam mit einer Marienkrönung in der Apsis-Kalotte des Speyerer Doms. Johann von Schraudolph, der der Künstlergruppe der Nazarener nahestand, wurde von Ludwig I. 1843 beauftragt, den Speyerer Dom auszumalen. Im Zuge grundlegender Restaurierungen wurden diese Fresken 1960 abgenommen. Die zwölf Apostel wurden - bis auf zwei von ihnen - seither nicht mehr öffentlich gezeigt.

Umso großartiger ist es nun, die abgelösten Wandmalereien in den lichtdurchfluteten Räumen des Neubaus von Richard Meier auf den Rheinhöhen in Rolandseck zeigen zu können. 12 international anerkannte Künstlerinnen der Gegenwart - Sonja Alhäuser, Fides Becker, Hadassah Emmerich, Ariane Epars, Martina Klein, Zilla Leutenegger, Christiane Löhr, Franziska Nast, Johanna Reich, Karin Sander, Dorothee von Windheim und Heike Weber - wurden aus diesem Anlass dazu eingeladen, vor Ort eigene Positionen in Beziehung zu den Schraudolph’schen Fresken zu entwickeln und innovative Wandarbeiten entstehen zu lassen.

Die Ausstellung bildet den Anfang einer intensiven Auseinandersetzung des Landes Rheinland-Pfalz mit seinem reichen und vielfältigen nazarenischen Kulturerbe. Eine weitere Ausstellung im Landesmuseum Mainz, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, präsentiert ab dem 10. Juni eine kulturhistorische Gesamtbetrachtung des Wirkens nazarenischer Künstler in Rheinland-Pfalz. Ab Herbst/ Winter 2012 werden die abgenommenen Fresken im Dom zu Speyer gezeigt.

Die Architektur als unabdingbare Voraussetzung für ein Fresko spielt in der Remagener Ausstellung eine grundlegende Rolle. Die großzügigen weißen Wandflächen des Neubaus, aber auch der Boden und die Fenster werden von den Künstlerinnen als Bildträger genutzt. Die sensiblen Annäherungen der Künstlerinnen an die Kunstwerke einer idealisierten Welt des 19. Jahrhunderts aus dem Blickwinkel des 21. Jahrhunderts werden zu einem alle Sinne ansprechenden Erlebnis. Sie nehmen Themen wie Farbe, Oberfläche, Ornamentik, Figürlichkeit, Religion und vegetabile Elemente aus den Nazarenerfresken auf.

Ein großes Seifenfresko von Sonja Alhäuser erweckt die Apostelkräuter duftend zum Leben. Fides Becker öffnet metaphorisch die Wand, indem sie ein illusionistisches Architekturgemälde mit Bezug zum historischen Bahnhof Rolandseck erschafft. Hadassah Emmerich überwältigt die Besucher mit einem farbexplosiven Wandgemälde, das sich zwischen Orient und Okzident bewegt. Ariane Epars lässt goldene Umrisslinien auf drei Fensterscheiben tanzen. Martina Klein nimmt in einem monochromen Objekt Bezug auf die Farben der nazarenischen Fresken. Zilla Leutenegger verbindet Zeichnung und Videoprojektion zu einem Wörterrätsel.

Christiane Löhr lässt feine Muster aus Pferdehaar zeichnerisch die Wand erobern. Franziska Nast tätowiert einen Adler, einen Vogelkäfig, Schriftbänder und viele weitere Motive auf zwei Säulen. In Johanna Reichs Videoprojektion geht die Wandfläche malerisch in Flammen auf. Karin Sander "beschreibt" die unterirdische Tunnelverbindung zwischen Bahnhof und Neubau mit einem computer­generierten Zahlen- und Zeichensystem. Heike Weber kreiert einen ornamentalen Teppich aus Silikon. Und Dorothee von Windheim verfolgt die Frage nach dem wahren Bild - der Vera Icon - indem sie Augenpaare aus Darstellungen des Schweißtuchs der Veronika fotografisch auf Gaze überträgt und zu einer Installation vereint.

Die Eroberung der Wand
Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart
25. März bis 9. September 2012