Annemarie von Matt (1905-1967) und Sonja Sekula (1918-1963) gehören zu den interessantesten wie auch unbekanntesten Schweizer Künstlerinnen des letzten Jahrhunderts. Während Sekula hauptsächlich in den USA lebte, hat von Matt fast ihr ganzes Leben in der Innerschweiz in Stans verbracht. Die beiden Künstlerinnen weisen viele Verwandtschaften auf, was erstmals in einer Ausstellung aufgezeigt wird. Fokussiert wird dabei vor allem die Doppelbegabung – Malerin und Schriftstellerin.
Annemarie von Matt und Sonja Sekula stammen beide aus der Innerschweiz. Die in Luzern aufgewachsene Sonja Sekula wirkte ab den vierziger Jahren in New York zuerst im Kreis der im Exil lebenden Surrealisten um André Breton und danach in demjenigen amerikanischer Avantgardekünstler. Sekulas Arbeit entwickelte sich im Unterschied zu derjenigen von Annemarie von Matt in Berührung und Auseinandersetzung mit den wegweisenden künstlerischen Positionen ihrer Zeit. Sekula konnte ihre Werke in zwei der bedeutendsten Avantgardegalerien New Yorks ausstellen, beide von Frauen gegründet und geleitet, zunächst ab 1943 in Peggy Guggenheims Art of This Century und später in der Galerie von Petty Parsons, in der sie neben einigen heute legendären Figuren des amerikanischen abstrakten Expressionismus wie Barnett Newman oder Mark Rothko ausstellte.
Sie pflegte wie John Cage, der Sekula eines seiner "Seven Haiku" für Klavier widmete, eine experimentelle Arbeitsweise, für die Stilvielfalt Ausdruck von Freiheit war. Annemarie von Matt hingegen lebte nach ihrer Heirat mit dem Bildhauer Hans von Matt in Stans. Für Annemarie von Matt ist das Kunstwerk Ausdruck des persönlichen Befindens und des eigenen Lebensprozesses. Zu entdecken ist eine belesene, politisch wache Künstlerin, die sich in Bild und Text anspielungsreich auf literarische Figuren bezieht.
Obwohl Leben und Werk der beiden Künstlerinnen manche Verwandtschaften aufweisen, wurden sie noch nie gemeinsam in einer Ausstellung präsentiert. Beide schrieben schon als junge Frauen, traten aber zunächst als Malerinnen an die Öffentlichkeit. Diese Doppelbegabung, die im Mittelpunkt der Ausstellung steht, manifestiert sich in literarischen Arbeiten und bildnerischen Werken, die mit Texten versehen sind. Bild und Text unterliegen bei Sekula stets der jeweils eigenen Logik des Mediums, selbst dann wenn sie in ihren bildnerischen Arbeiten Texte verwendet. Schreiben und Malen bleiben bei ihr getrennte Disziplinen, während sie sich bei Annemarie von Matt zu einer einzigen Ausdrucksform verbinden.
Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen wirken auf den ersten Blick wie ein Monolog, sind in Wirklichkeit aber ein autobiographisch fundierter Dialog mit künstlerischen Bewegungen und literarischen Werken. Die Recherchen haben spektakuläre Funde zu Tage gebracht wie die Briefe Sonja Sekulas an Frida Kahlo in Mexiko und zahlreiche unbekannte englisch-sprachige Texte, darunter ein Porträt über Annemarie Schwarzenbach. Annemarie von Matts und Sonja Sekulas sprach- und bildmächtiges Interesse gilt vordringlich existentiellen Fragen. Die Suchbewegungen der beiden Frauen, die nach Befreiung von festen Rollenverteilungen in der Gesellschaft und in der Liebe strebten, widerspiegeln sich im Schreiben und in den von ihnen gewählten fragmentarischen Ausdrucksweisen. Immer wieder steht das unergründliche, von Liebesverlust und Krankheit gefährdete Ich, das menschliche Dasein an sich im Brennpunkt.
Der Ausstellungstitel zitiert eine Tagebucheintragung von Sonja Sekula vom Juli 1951: "Bist du, Ich bin ... Ich bin die Grüne, die Dunkelschwester ... bin das schrille Rufen der Kranken, bin die Angst, bin Lärm und Schmerz, selbst das Lächeln, bin das Boot im Moor, das lange Warten, die Selbstsuchung, ach nimm meine Hand, sei ruhig, denn ich leide, denn ich suche ... sinnlos und auf zornige, trübe Weise".
Publikation: Dunkelschwestern. Annemarie von Matt – Sonja Sekula. Herausgegeben von Roman Kurzmeyer und Roger Perret im Auftrag des Migros-Kulturprozent. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2008
Dunkelschwestern
Annemarie von Matt – Sonja Sekula
27. Januar bis 13. April 2008