Determinationen

Das Verständnis von Determinationen hat sich, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Neurobiologie und Genforschung, gestärkt. Eine neue Art von Biologismus hat sich festgesetzt und beeinflusst das Verständnis von so wesentlichen Konzepten wie das der Person, des freien Willens bzw. der Natur und der Gesellschaften. Das hat seine Geschichte. Dem Darwinismus, auch dem Sozialdarwinismus, standen und stehen gewisse Kulturkonzepte gegenüber. Das prominenteste war der Marxismus, der die gesellschaftlichen Bedingungen als ausschlaggebend betrachtete und die Politik danach ausrichtete. Der Kommunismus lieferte den historischen Beleg eines dramatischen Versagens. Die Milieutheorie, die Klassenkampftheorie, erwiesen sich schlussendlich als untauglich, die eigenen Zielsetzungen zu erreichen. Ein hoher Preis war auf dem Weg zum „neuen Menschen“ zu bezahlen gewesen.

Viele Debatten der Genderforschung und –politik sowie einiger konkurrierender Kulturtheorien pochen andererseits heute auf Schlüsselsätze damaliger marxistisch oder kommunistisch gespeister Ansichten und betonen die gesellschaftlichen Bedingungen als Determinanten persönlicher Entwicklung, Bildung, Lebensgestaltung. Wenn das Bildungssystem besser organisiert wäre, wenn mehr Mittel dafür besser aufgewendet würden, stiege die Bildung, verbessere sich das Fortkommen. Wenn Armut besiegt werde, wenn Minderheiten integriert würden, wäre Chancengleichheit gegeben. Da stimmt sicher einiges. Aber so einfach ist es nicht. Denn der Einzelne, die Person wird zugunsten des Umfeldes schier ausgeblendet. Das Bild wird so gezeichnet, als ob die Chancengleichheit, wenn sie denn existierte, auch die Ergebnisse lieferte, indem diese Chancen ergriffen würden. Doch dem ist nicht zwingend so.

Verdutzt fragt man sich, wie denn jene es geschafft haben sich zu bilden, die keine Chancengleichheit kannten, die unter ungünstigen Umständen sich bilden mussten, weil sie wollten, und sich gebildet haben. Der Frage, wie jene zu ihrem Wollen kamen, wird meist ausgeblendet. Auch heute zeigt sich, dass in Familien, die materiell gut versorgt sind, deshalb nicht automatisch die Chancen von den Familienmitgliedern immer positiv genutzt werden.

Es ist eine paradoxe Situation. Während viele einige Ergebnisse der Neurobiologie hervorheben und die freie Willensentscheidung als Chimäre wegreden, als ob es in der Gesellschaft primär um Biologie ginge, formulieren andere Konzepte, die in ihrer Einseitigkeit, zwar von der anderen Seite her, ebenfalls rigide Determinationen erklären, worauf sie ihre Politik, ihr Programm gründen und danach ausrichten. Eine Wiederholung, eine Wiederaufnahme, nur etwas zeitgemäßer, moderner formuliert.

Es fällt auf, dass in beiden Konzepten der Freiraum, ja die Chancen selbst, immer weniger persönlich wählbar sind, weil entweder die Biologie dort, oder die gesellschaftliche Organisation, die Kultur hier, das Wesentliche, also fast alles, bestimmen. Je stärker aber die Determinanten, desto geringer der persönliche Anteil. Eine emanzipatorische Orientierung sähe anders aus!