Der verstimmte Biber

22. Juni 2011 Rosemarie Schmitt
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Es heißt, er verfüge über großes Geschick, Kreativität und eine ausgeprägte Liebe zum Detail. Geduld und eine immense Ausdauer gehörten zu seinen Eigenschaften und er benötige ein festes Fundament, auf das er aufbauen kann, er erlebe seine Umwelt sehr sinnlich und hautnah. Oberflächlichkeit, Unzuverlässigkeit sowie Leichtsinn seien Eigenschaften, die ihm fremd seien, ja, die er gar verabscheue.

Vegetarisch ernähre er sich, sei sehr naturverbunden, lege großen Wert auf seine Ruhe während des Winters, sei kein bißchen bissig und sehr fleißig. Er bevorzuge die Einehe und in der Liebe, so heißt es, sei der Biber treu und sinnlich. Seine unnatürlichsten natürlichen Feinde wurden im Laufe der Zeit lediglich wildernde Hunde und unmusikalische Menschen. Nachdem ich mir nun einige seiner Kompositionen anhörte und vieles über sein Leben las, kann ich dieser Einschätzung bezüglich Heinrich Ignaz Franz Bibers Wesens nur zustimmen! Ein Pionier, ein Virtuose auf der Geige ist er gewesen. Und es ist wahrscheinlich, daß des Bibers Violine häufiger verstimmt war als dieser selbst, denn er liebte jede andere, als die normale Stimmung seines Saiteninstrumentes, eben die Scordatura (discordare (ital.) = verstimmen).

Mitte Mai veröffentlichte Berlin-Classics (Vertrieb: Edel) die CD "Salzburg Barock" mit einer Auswahl eben barocker Kompositionen der damaligen Salzburger Hofkapellmeister und Domorganisten. Allen voran und voraus, und der mich am stärksten beeindruckende Komponist dieser Einspielung, ist Heinrich Ignaz Franz Biber. Biber, 1644 in Böhmen geboren, schlug als junger Mann seine Zelte in Salzburg auf. Treu, wie es des Bibers Art nun einmal ist, blieb er dort bis zu seinem Tod im Jahre 1704. Einer seiner Söhne, der sechste! (ich erwähnte bereits den Fleiß und die Sinnlichkeit des Bibers), trat in Vaters Fußstapfen und später auch die Stelle des Salzburger Hofkapellmeisters an. Eine Zeit lang war Carl Heinrich Biber gar der Vorgesetzte von Leopold Mozart! Carl Heinrich war zwar nicht weniger fleißig als sein Vater, doch konnte die Qualität seiner Kompositionen niemals an die des alten Bibers heranreichen.

Kühn und einfallsreich ist er gewesen, der Heinrich Ignaz Franz. Davon zeugt unter anderem seine "Sonata representativa" für Violine und Basso continuo, in der er die Laute verschiedener Tiere, wie etwa die des Kuckucks, der Nachtigall, des Frosches oder der Katze nachahmt. Er als Biber kennt sich da sicherlich aus. Ein weiteres Beispiel für seinen Einfallsreichtum ist die 1676 erschienene Sammlung der zwölf Sonaten, die sowohl geistlicher als auch weltlicher Natur sind. Der Titel dieser Komposition lautet "Tam aris quam aulis serviente" (sowohl für den Altar wie für die Tafel).

Für Tam Tam war der Biber offensichtlich gerne zu haben. So erzählt er in seinen kammermusikalischen Werken etwa vom Tanze in einem Wirtshaus, von acht betrunkenen Musketieren ("Die liederliche Gesellschaft von allerley Humor") oder von des Nachtwächters Ruf. Die meisten Kompositionen der CD "Salzburg Barock" sind freilich sakraler Art. Wie etwa die Stücke eines Unbekannten, der für das Stift Nonnberg komponierte. Die Musik dieses Stiftes wurde übrigens eine Weile von einer Tochter Bibers geleitet! Sie war eine hochbegabte Musikerin und verstand sich ganz besonders auch auf das Spiel der "Viola d’amore" (womöglich ein Erbe des Vaters und dessen Sinn für Sinnlichkeit).

Was mich an "Salzburg Barock" zunächst etwas verwirrte, bevor die Begeisterung einzusetzen begann, ist die Mischung aus sakraler und weltlicher Musik, die mal vokal, mal instrumental präsentiert wird. Die barocken Arien, in herausragender Weise von Emma Kirkby interpretiert, muten gar etwas mittelalterlich an und die geistlichen Werke sind bei genauem Hinhören zwar noch immer himmlisch, doch längst nicht so "heilig" wie ich "befürchtete"! Das Ensemble "Bell’arte Salzburg" beweist wieder einmal ein sehr feines Gespür für die Musik dieser Zeit. Man hört und fühlt die Begeisterung und das Wissen um diese musikalische Epoche Salzburgs. Es paßt einfach alles! Die Barockspezialistin und Geigerin Annegret Siedel leitet das Ensemble sensibel, nuanciert und stilsicher, und daß Emma Kirkby die einzig richtige Wahl für diese Einspielung ist, steht außer Frage.

Auch wenn Biber ein Freund der "Scordatura" (eine von der Norm abweichende Stimmung eines Saiteninstruments) gewesen ist, Sie werden wahrscheinlich alles andere als verstimmt sein, nachdem Sie diese Musik gehört haben.

Bis kommende Woche, bestimmt und
herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt