Im Rahmen der 58. Berlinale eröffnete das "Internationale Forum des Jungen Films" mit zwei starken Filmen. Während der Kanadier Guy Maddin mit "My Winnipeg" eine an Einfallsreichtum schier überbordende Hommage an seine ebenso geliebte wie gehasste Heimatstadt, aber auch an seine Mutter vorlegt, zeigt der Thailänder Aditya Assarat in "Wonderful Town" anhand einer kleinen Liebesgeschichte feinfühlig die Traumatisierungen durch den Tsunami vom Dezember 2004 auf.
Endlich weg von seiner Heimatstadt möchte der Kanadier Guy Maddin in seinem Schwarzweißfilm "My Winnipeg". So sitzt er im Zug und holt aus zu einem weiten Streifzug durch die Geschichte dieser in der Mitte der Mitte des nordamerikanischen Kontinents liegenden Stadt. Alle Winnipeger seien Schlafwandler stellt Maddin einmal fest, und so mischt auch er schlafwandlerisch Archivmaterial, Trickfilm und inszenierte Szenen. Die Grenzen sind dabei alles andere als klar erkennbar, denn auch neues Material ist auf Stummfilm getrimmt. Vom Bau eines Vergnügungszentrum und dessen teilweiser Demontage durch verarmte Arbeiter über den Abbruch des altehrwürdigen Eishockeystadions bis zum Neubau eines Einkaufszentrums, wobei "MT-Center" als "Empty-Center" gesprochen wird, spannt sich der Bogen. Ein Blick in die Geschichte der Eishockeytradition fehlt so wenig wie Anmerkungen zum Brand der Ställe der Pferderennbahn, bei dem die Tiere in den eisigen Fluss geflohen und dort im Eis eingekeilt worden seien. Ihre Köpfe seien laut Maddin aus der Eisfläche herausgeragt und hätten den Stadtbewohnern als Sehenswürdigkeit gedient.
Und immer wieder kehrt Maddin zur Flußgabelung von Assiniboine und Red River, an der Winnipeg liegt, zurück und schlägt von dieser den Bogen zum Mutterschoß. So wird auf einer zweiten Ebene von der Familiengeschichte erzählt und einzelne Szenen daraus mit der echten Mutter, aber mit anderen Jungs als Maddins Brüder nachgestellt. Und am Rand sitzt in diesen Szenen die heutige Besitzerin des Hauses, in dem der Regisseur aufwuchs. Sie stellte ihr Haus Maddin angeblich für die Dreharbeiten zur Verfügung, bestand aber darauf im Film vorzukommen. – Manches von dem Erzählten wird wahr sein, vieles Fiktion, aber poetisch und noch viel persönlicher als andere Stadtfilme wie Ruttmanns "Berlin-Sinfonie einer Großstadt" oder Grafs/Althens "München – Geheimnisse einer Stadt" ist dieser von Maddin selbst durch Off-Kommentar erzählte Stummfilm ganz gewiss. – Und auf jeden Fall von einem Einfallsreichtum und einer Fülle an Szenen, dass dem Zuschauer schier der Kopf zu zerplatzen droht.
Ungleich ruhiger und geradliniger ist da "Wonderful Town" des Thailänders Adita Assarat. Erzählt wird die im Grunde einfache Geschichte eines jungen Architekten aus Bangkok, der in eine vom Tsunami immer noch verwüstete Küstenstadt kommt, wo er sich um den Wiederaufbau einer Ferienanlage kümmern soll. Der Architekt bezieht nicht im Zentrum, sondern in einem abgeschiedenen Hotel Unterkunft, wo sich langsam eine Beziehung zur jungen Besitzerin entwickelt.
Die materiellen Schäden, die der Tsunami anrichtete, sieht man überall, auch wenn Bildern der Zerstörung solche von der unberührten Natur gegenüberstehen. Mit Fortdauer des Films werden aber gerade durch die wortkarge Erzählweise mit langen Einstellungen, die den Figuren Raum und Zeit lassen, auch die psychischen Verwundungen und Traumatisierungen, die die Naturkatastrophe auslöste, sichtbar.
Wie unter den Wellen am Beginn der Meeressand liegt, so schlummern diese unter der scheinbar wieder intakten Oberfläche. Weil der Zuschauer mit diesem Unbehagen, diesem Eindruck von der Zerstörung des sozialen Gefüges, nicht überrumpelt wird, sondern sich dieses Gefühl langsam einschleicht und Assarat es versteht diese Stimmung mit seiner stilsicheren Inszenierung eindringlich zu vermitteln, bleiben nicht nur die sorgfältig komponierten Bilder im Gedächtnis haften, sondern die Verunsicherung wirkt auch lange über das Filmende hinaus nach.