Der Stoff bestimmt den Stil: Zum 100. Geburtstag von Robert Wise

8. September 2014 Walter Gasperi
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Mit Musicals wie "West Side Story" und "The Sound of Music" landete Robert Wise Welterfolge, doch zu Hause war der gelernte Cutter in jedem Genre, drehte Science-Fiction- ebenso wie Horror- und Boxerfilme und mit "I Want to Live!" eines der erschütterndsten Plädoyers gegen die Todesstrafe. Am 10. September wäre dieser Hollywood-Professional 100 Jahre alt geworden.

Als Cutter hat der am 10. September 1914 in Winchester, Indiana geborene Robert Wise im Filmgeschäft begonnen. Filmbegeistert war er schon seit seiner Kindheit, begann dann aber ein Studium der Journalistik, das er aus finanziellen Gründen während der Weltwirtschaftskrise abbrechen musste.

1933 zog er nach Los Angeles, arbeitete bei RKO zunächst als Laufbursche, ab 1934 als Ton- und Musikcutter, wechselte 1939 als Cutter in den visuellen Bereich und zeichnete nicht nur für den Schnitt von "The Hunchback from Notre Dame" (William Dieterle, 1939), sondern auch für den von Orson Welles´ "Citizen Kane" (1940) verantwortlich. Welles folgendem Film "The Magnificent Ambersons" (1942) musste er nach negativen Reaktionen auf Testvorführungen sogar im Auftrag von RKO von 138 auf 88 Minuten kürzen.

Als der Regisseur des Horrorfilms "The Curse of the Cat People" (1943) Gunther von Fritsch den Drehplan nicht einhielt, übergab RKO die Regie Wise. Im Rahmen des Siebenjahresvertrags für dieses Studio drehte er mit dem atmosphärisch dichten "The Body Snatcher" ("Der Leichendieb", 1945) einen weiteren Horrorfilm, bei dem er auch sein Talent in der Arbeit mit kleinen Budgets unter Beweis stellte.

Im Stil eines Film noir filmte er den Western "Blood on the Moon" (1948), bei dem mit Nicolas Musuraca ein Spezialist für Hell-Dunkel-Kontraste die Kamera führte, sorgfältige Recherchen im Boxermilieu gingen dem Boxerfilm "The Set Up" ("Ring frei für Stoker Thompson", 1948) voraus. Während Wise in dieser RKO-Produktion in Echtzeit von einem alternden Kämpfer erzählte, der in schäbigen Boxhallen zu überleben versucht, spannte er sieben Jahre später in seinem zweiten Boxerfilm "Somebody Up There Likes Me" ("Die Hölle ist in mir", 1956), der in der Aufstiegsgeschichte eines Boxers aus der Gosse zum WM-Titel ein Vorläufe von Sylvester Stallones "Rocky" ist, den Bogen über 20 Jahre.

Wie Wise für "The Set Up" das Boxermilieu studierte, so ließ er sich für den U-Boot-Film "Run-Silent, Run Deep" (1958) durch ein echtes U-Boot führen, um im Film dann überzeugend die klaustrophobische Enge vermitteln zu können. Am weitesten ging diese Recherchetätigkeit aber beim Todesstrafendrama "I Want to Live!" (1958), bei dessen Vorbereitung er sogar einer Hinrichtung beiwohnte. Distanziert und durch die Schwarzweißfotografie von Lionel Lindon quasidokumentarisch schildert er die Vorbereitungen der Hinrichtung, doch gerade in dieser Nüchternheit kombiniert mit minutiöser Darstellung der einzelnen Vorgänge erreicht dieser Film erschütternde Kraft.

Auch im Science-Fiction-Genre gelang Wise schon in den 1950er Jahren mit "The Day the Earth Stood Still" (1951) ein Klassiker, der ebenso vor dem Wettrüsten warnt wie 20 Jahre später sein ebenfalls vom Inhalt her zwar utopischer, in der Inszenierung aber nüchtern-realistischer Thriller "The Andromeda Strain" (1971).

Nicht nur in diese Science-Fiction-Filme verstand es Wise gesellschaftskritische Botschaften zu verpacken, sondern er thematisierte und kritisierte auch im düsteren Gangsterfilm "Odds Against Tomorrow" (1959) ebenso wie in dem mit zehn Oscars ausgezeichneten Musical "West Side Story" (1960) Rassismus und prangerte in "The Sound of Music" (1964) hinter der heiteren Oberfläche den Totalitarismus der Nazis an.

Die Erfolge dieser Musicals machten Wise zu einem Spezialisten von Großproduktionen. Als Meister im Umgang mit dem superbreiten 70mm-Format erwies er sich mit diesen Oscar-gekrönten Filmen und setzte auch in der Folge auf dieses Format. Doch überzeugender als der Kriegsfilm "The Sand Pebbles" ("Kanonenboot am Yangtse-Kiang", 1966) und das bei Publikum und Kritik durchgefallene Musical "Star!" (1968) fiel in dieser Zeit "The Haunting" (1963) aus. Meisterhaft evoziert Wise in diesem Horrorfilm eine beunruhigende Atmosphäre und erzeugt mit subjektiver Kamera und häufigen Perspektivenwechsel Spannung.

Ging es mit dem alten Hollywood ab Mitte der 1960er Jahre auch steil bergab, so konnte Wise doch seine Karriere in den 1970er Jahren praktisch unbeschadet davon fortsetzen – wenn auch, abgesehen von "The Andromeda Strain", ohne große Erfolge. Mit "The Hindenburg" drehte er 1974 seinen Beitrag zum damals boomenden Katastrophenfilm, konnte aber mit den Hits wie "Jaws" und "The Towering Inferno" nicht konkurrieren, und auch sein Kinofilm zur Kultserie "Star Trek" (1979), mit dem er nochmals zum Science-Fiction-Film zurückkehrte, rief kaum Begeisterung hervor.

Nachdem er sich 1989 nach "Rooftops", seinem 39. Film schon zur Ruhe gesetzt hatte, setzte er sich 2000 für den Familienfilm "A Storm in Summer" ("Sommer der Freundschaft") mit 86 Jahren doch noch einmal auf den Regiestuhl, ehe er am 14. September 2005, kurz nach seinem 91. Geburtstag, in Los Angeles an Herzversagen verstarb.

Verleihung des American Film Institute Life Achievement Awards an Robert Wise (1998)