Der Meister des Augenblicks

Als Lothar Rübelt die beiden Wasserspringere Mädy Epply und Sepp Staudinger in den 1930er im Bild festhielt, als sie verkehrt zueinander, aber synchron förmlich in der Luft zu schweben schienen, ist ihm eine ästhetische Meisterleistung gelungen. Diese Schwarz-Weiß-Fotografie zierte denn auch das Ausstellungsplakat, als ihm die Albertina in Wien 1985 unter dem Titel „Das Geheimnis des Augenblicks“ eine große Retrospektive widmete. Mit solchen aktionsgeladenen Aufnahmen, die belegen, dass es Rübelt mit seiner Leica wie kaum ein anderer verstand, den Auslöser im alles entscheidenden Moment zu betätigen, katapultierte sich der 1901 in der damaligen k.u.k. Reichsmetropole geborene und 1990 in Kärnten verstorbene Fotograf vor allem in den Zwichenkriegsjahren in die erste Reihe der Sportfotografen.

Dass Rübelt mit seinen Aufnahmen von Fußballspielen, Radrennen oder auch Leichtathletikbewerben nicht nur in diesen Metiers für neue fotografische Maßstäbe sorgte, sondern auch in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Kultur den Finger stets am Auslöser hatte, zeigt jetzt ein neues Buch, das Matthias Marschik, Historiker an der Universität Wien, und Michaela Pfundner vom Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek unter dem Titel „Wiener Bilder“ in der Edition Winkler-Hermaden herausgegeben haben.

Der Titel des Buches verweist auch auf eine beliebte Illustrierte, die von 1896 bis 1939 erschienen ist und die auch Rübelts Fotografien immer wieder abdruckte. Rübelt versorgte in der Ersten Republik und auch in der Ära der Nationalsozialisten, denen er eine Zeit lang durchaus nahestand, den ständig wachsenden Markt der Bildillustrierten mit Fotomaterial.

Sport, Gesellschaft und Politik, aber auch Mode, Theater und Film gehörten zu seinen bevorzugten Sujets, mit denen er die unterschiedlichsten Zeitschriften, vom nationalsozialistischen "Notschrei" (später: "Das Zeitbild") bis zum sozialdemokratischen "Kuckuck", das "Interessante Blatt" und die "Berliner Illustrirte Zeitung" belieferte. Rübelt war damit entscheidend an der Entstehung und Entwicklung einer modernen Bildsprache beteiligt. Nach 1945 blieb er fotografisch präsent, auch wenn es zunehmend ruhiger um Lothar Rübelt wurde, so wie auch seine Motive und seine Arbeitsweise leiser wurden.
Matthias Marschik und Michaela Pfundner haben den umfangreichen fotografischen Nachlass Rübelts, der im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt wird, gesichtet und für diesen Band eine Auswahl seiner bemerkenswertesten Wiener Bilder, von denen viele noch unveröffentlicht sind, getroffen. Damit soll Lothar Rübelts Bild von seiner Heimatstadt Wien nachgezeichnet werden, die er 40 Jahre lang immer wieder fotografisch festgehalten hat. Daraus entsteht weit mehr als ein subjektives Stadtporträt. Denn die Auswahl seiner Motive reflektiert ja nicht nur persönliche Präferenzen, sondern ebenso die Bedürfnisse der Auftraggeber und nicht zuletzt eine gesellschaftliche Perspektive. All das hatte Einfluss darauf, welche Szenen, Geschehnisse und Blickwinkel es wert waren, fotografisch festgehalten und rezipiert zu werden.

Wiener Bilder: Fotografien von Lothar Rübelt
Hrsg. v. Matthias Marschik und Michaela Pfundner, Edition Winkler-Hermaden, 160 Seiten, 240 Fotografien, gebunden mit Schutzumschlag, ISBN: 978-3-9519804-0-9, EUR 34,90