Im Rahmen der ersten Ausstellung im neuen Programmjahr 2025 bietet KunstVorarlberg anhand von sieben künstlerischen Positionen Einblicke in die Möglichkeiten der Malerei heute. Das Spektrum reicht von naiven und psychedelisch anmutenden Bildwelten über expressive Figurationen die sich mit Abstraktionen verschränken sowie in die Gegenwart transformierte altmeisterliche Techniken bis hin zu streng abstrakten Kompositionsverhältnissen.
Die 1979 im steirischen Judenburg geborene Künstlerin Katja Berger ist dafür bekannt, in ihren Gemälden alltägliche soziale Beziehungen in all ihren Facetten zu thematisieren. Wobei immer wieder auch das Tier seinen Platz erhält. Berger zeigt in der Villa Claudia unter anderem eine neue Serie von Ölgemälden, deren zentraler inhaltlicher Ausgangspunkt Begriffe aus der Rede von Charlie Chaplins „Als ich mich selbst zu lieben begann…" sind: Selbst-Bewusst-Sein, Authentisch-Sein, Respekt, Reife, Einfachheit, Selbstliebe, Bescheidenheit, Bewusstheit und Herzensweisheit. Die formalen Ausdrucksmittel, die die Künstlerin dabei einsetzt, wirken mal surreal, dann wieder plakativ, oder märchenhaft illusionistisch und naiv-kindlich wie die Illustrationen von Kinderbüchern. Ihr persönlicher Stil ist unverwechselbar, auch wenn mitunter Anklänge an das sogenannte „Bad Painting“ etwa eines Anton Henning, Albert Oehlen, David Lynch, Werner Büttner oder aus österreichischer Sicht Terese Schulmeister oder Robert Zeppel-Sperl evident werden. Die Arbeit „Respekt“ beispielsweise zeigt eine surreal anmutende Szene, in der eine maskenhafte Figur in Verbindung mit zwei tierähnlichen Wesen erscheint. Diese Konstellation erzeugt eine archaisch anmutenden Dynamik, in der nicht klar ist, in welchem Verhältnis die Protagonisten zueinander stehen, doch sie scheinen vereint in der Konzentration und der Bewegung hin auf ein gemeinsames Ziel zu sein. Katja Berger will mit ihrer neuen Gemäldeserie, in der sich eine intime und reduzierte Bildsprache mit tiefergehenden Reflexionen über emotionale zwischenmenschliche Themen verbindet, den Betrachter dazu einladen, über die Bedeutung von Selbstfürsorge und menschliche Verbindung nachzudenken und einen Dialog über die universellen Themen des Lebens eröffnen.
Die Arbeiten der in Bludenz und Florenz lebenden und arbeitenden Künstlerin Chantal Boso Flores, Jahrgang 1998, bewegen sich im Spannungsfeld zwischen klassischer Malerei und den Impulsen der modernen Zeit. Ob Stillleben oder figurative Darstellungen – jedes Bild erzählt von ihrer Suche nach einem eigenen Stil, welcher den Realismus und die Themen unserer Gegenwart auf eigene Weise verbinden soll. Die in der Villa Claudia zur Schau gestellten neuen Werke reflektieren ihr Interesse an klassischen Techniken und Kompositionen, die sie mit frischen Ansätzen und zeitgemäßen Motiven weiterentwickelt. Dabei geht es ihr nicht nur um die präzise Darstellung, sondern auch um das Einfangen von Stimmungen und Gedanken, die für das Hier und Heute charakterisch sind, wie Werkbeispiele wie „Nightcafe“ oder „Dreamland“ belegen.
Auch zwei Stillleben sind unter den neuen Gemälden. Darunter das „Memento Mori“, das die Vergänglichkeit von Mensch und Tier vereint: Ein Mix zwischen einem menschlichen und einem Fuchsschädel, umgeben von verfallenden Früchten, vor leuchtend grün-blauem Hintergrund. Der lateinische Ausspruch „Memento mori“, der im Mittelalter das Motto einer klösterlichen Gegenbewegung gegen den moralischen Verfall vor allem der christlichen Kirche war, ist als Erinnerung an die eigene Sterblichkeit aufzufassen. Ins Deutsche könnte man diesen Ausspruch mit „Gedenke zu sterben“ übersetzen.
Der 1964 in Bregenz geborene und heute in Wien und im burgenländischen Illmitz lebende und arbeitende Künstler Christian Eder war gerade erst im Sommer mit einer Soloausstellung im Bildraum Bodensee im Bregenz zu sehen. Im Gegensatz zu den dort gezeigten Arbeiten aus der Werkserie der „Black and White Works“ steht in seinem Feldkircher Beitrag die Linie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sowie die Frage nach den Möglichkeiten im Spannungsfeld von Tafelbild und Objekthaftem. Symmetrisch angelegte Linienformationen auf Schwarz und Grau verweisen auf das Verhältnis von Farbe und Nichtfarbe, von Fläche und Raum. Die Linie im Zusammenspiel mit Farbe tritt immer wieder seriell komponiert vor das Betrachterauge. Je nach Betrachterwinkel scheint sich die Textur der Oberfläche zu verändern: Die Farbe fibriert, alles bewegt sich, alles dreht sich. Während hingegen die zwei in einem spezifischen Blau ausgeführten Bild-Objekte zur Kontemplation einladen.
Bei den sechs Gemälden, die vom Bregenzerwälder Künstler Herbert Meusburger (1953-2023) zu sehen sind, stehen Materialien wie Acrylfarbe und Gips im Vordergrund, die er mit Spachteln und anderen Hilfsmitteln auf OSB-Platten (oriented structural board) streicht. Obwohl der Künstler die Acrylfarbe in zahlreichen Schichten und Gesten aufträgt, sind die "Gemälde" von feinen, dichten Strukturen geprägt. Denn die den OSB-Platten eingeschriebenen Maserungen legt er mit Hilfe von Kaltnadel-Radierwerkzeug wieder frei und macht sie damit sichtbar. Formal erinnern diese "Einschreibungen" in gewissem Sinne auch an übereinandergelagerte Halme von Stroh und Heu oder Steinkrusten, womit auch eine gewisse Analogie zu den Steinskulpturen, für die der Künstler auch bekannt ist, herleitbar ist.
In der zeitgenössischen Malerei spielt auch der Begriff des „Expanded Painting“, der erweiterten Malerei, immer wieder eine zentrale Rolle. Dieser bezieht sich auf Ansätze, die über traditionelle Maltechniken und -materialien hinausgehen. Es geht dabei darum, die Grenzen der Malerei zu erweitern, indem verschiedene Medien, Materialien und Techniken miteinander kombiniert werden. Im Rahmen einer neuen Werkserie kaschiert die 1965 im dänischen Herning geborene und seit langem in Feldkirch lebende Künstlerin May-Britt Nyberg in diesem Zusammenhang zum Beispiel Teppichfragmente auf Leinwände auf und erweitert die diesen Textilien eingeschriebenen ornamentalen Muster auf eingearbeitete Objekte wie etwa eine Gamskrucke, ein Buch oder einen Plattfisch und setzt sie auch über die Seitenbegrenzung des Bildträgers fort. Solche Ansätze laden dazu ein, die Wahrnehmung von Malerei und Kunst im Allgemeinen neu zu denken und zu hinterfragen.
Die Feldkircher Künstlerin Gabriele Ott, Jahrgang 1967, ist ausgebildete Kunsttherapeuthin, Grafikerin und Textildesignerin. Sie präsentiert in der Villa Claudia fünf grossformatige Acryl-auf-Leinwand-Arbeiten, in denen sie sich den Mikrostrukturen von „Schimmel“ auf die Spur setzt. Dazu die Künstlerin: „Schimmel durchläuft als Übergang vom Leben zum Tod noch einmal alle Stadien der Entwicklung. Erste schüchterne zartrosa Fäden und weiße Fläumchen sind Vorboten, die in seiner Blüte samtige Polster, freche Sporenköpfchen und triefende Tautropfen ausformen und Ästhetik mit Ekel vereinen. Dann schwinden Glanz und Farbigkeit und weichen einer grauen Fahlheit bis er schließlich zu Staub zerfällt.“ In der intensiven Farbigkeit und der ins überdimensionale übersetzten Struktur wirken diese Mikrowelten genauso faszinierend wie beklemmend. Die Werke Otts erscheinen in der formalen Umsatz frisch und meisterlich und man kann sich nur darüber wundern, dass sich die Künstlern mit diesen Arbeiten erstmals öffentlich präsentiert.
Die aus Kroatien stammende und heute in Götzis lebende und arbeitende Künstlerin Mila Veljac'a Plaickner ist dafür bekannt, dass sie Figuration und Abstraktion in ihren Bildwelten kombiniert. Figuren, angerissene Interieurs oder stark reduzierte Landschaften geben sich ein surrealistisches Stelldichein und verbinden vielfach das tägliche Leben mit dem Absurden des Daseins. Ihre Bildwelten, die mitunter auch die Sehnsucht der Künstlerin nach ihren kroatischen Wurzelen referenzieren, sind irgendwo zwischen Realität und Fiktion, zwischem Möglichem und Unmöglichem angesiedelt. Inhaltlich folgt Veljac'a Plaickner mit ihren Werken auch vielfach der Intention, einen Dialog über den modernen Menschen, seine Umwelt und die sozialen Beziehungen, in denen er verhaftet ist, auszulösen. Seit einigen Jahren verwendet die Künstlerin auch Naturleinen als Malgrund und lässt Teil davon sichtbar stehen, was wiederum Rückschlüsse auf den Malprozess eröffnet.
Malerei heute
Nachdem in der Malerei in den vergangenen Jahrzehnten alles möglich abgehandelt und durchexperimentiert wurde, vom Crossover zur Fotografie und digitalen Bildtechniken über die Möglichkeiten der Abstraktion bis hin zu neuen Materialien und zu Entgrenzungen über den Bildraum und den Rahmen hinaus in den Raum hinein, gibt sie sich heute hinsichtlich formaler und thematisch-inhaltlicher Ansätze selbstbewusster und vielfältiger denn je. Wobei neue Werbeästhetiken und vor allem die sozialen Medien sowie auch die gesellschaftlichen und ökologischen Umwälzungen zu neuen Bildauffassungen führen. Dazu Christian Eder: „Die Malerei ist gegenwärtiger denn je, sie scheint nur aus der Zeit gefallen. In Wirklichkeit widersetzt sie sich dem Trend des schnellen Konsumierens durch ihre Vitalität, ihre Langsamkeit und zugleich ihre Komplexität, sie bedarf mehr als nur des Daumens im Anschlag: Denken, Sehen und (Be)greifen stehen in einem ständigen Austausch zu einander, als Moment eingefangen auf dem begrenzten Feld der Leinwand.“ (Christian Eder im Dezember 2024)
In der Malerei verortet
Katja Berger, Chantal Boso Flores, Christian Eder, Herbert Meusburger, May-Britt Nyberg, Gabriele Ott, Mila Veljaca Plaickner
24. Jänner 2025 bis 16. Februar 2025
Eröffnung: Do, 23.1., 19.00 Uhr
Begrüssung: Hermann Präg (Präsident KunstVorarlberg)
Worte: Karlheinz Pichler
Kuratorenteam: May-Britt Nyberg u. Karlheinz Pichler
Fr 16-18, Sa 15-18, So 10-12 u.15-18