Der Luxus der Einfachheit

Ob ökologisch orientierter Selbstversorger, Hippie, Einsiedler oder Pilger: Wann immer Menschen die bewusste Entscheidung treffen, aus der Normalität des Alltags auszubrechen und eine neue "Heimat" außerhalb des Konventionellen zu suchen, hoffen sie, das zu finden, was ihnen in unserer Leistungs- und Überflussgesellschaft scheinbar versagt bleibt: Werthaltigkeit, Sinnhaftigkeit und Glück. Dieser Suche nach alternativen Lebensweisen geht die Gruppenausstellung "Luxus der Einfachheit. Lebensformen jenseits der Norm" nach. Sie versammelt internationale Foto- und Videoarbeiten von zeitgenössischen Künstlern, die sich mit unterschiedlichen Formen von Gegenkulturen auseinandersetzen.

Anstatt die Erwartungen einer globalisierten und digitalisierten Welt zu erfüllen, verkörpern die Protagonisten der gezeigten Arbeiten Werte wie Selbstbestimmung, Spiritualität, Einfachheit und innere Freiheit. Die Ausstellung zeigt die mannigfaltigen Beweggründe und unterschiedlichen Formen des Rückzugs aus der Mainstreamgesellschaft auf. Die Spannbreite der vorgestellten Lebensformen reicht von temporären Aussteigern und kontemplativen Eremiten über Gemeinschaften von spirituell oder politisch Gleichgesinnten bis zu Visionären einer besseren Welt.

Alec Soth (*1969) und Lucas Foglia (*1983) widmen sich dem amerikanischen Kulturraum: Während Soths Arbeit "Broken Manual" Portraits anonymer Aussteiger mit Close-Ups aus deren Lebensräumen zu einer sehnsuchtsvollen Bildcollage kombiniert, thematisiert Foglias poetische Serie "A Natural Order" den Spagat zwischen autarkem, kapitalismuskritischem Selbstversorgertum und einem Leben mit modernen Technologien, von der sich die Protagonisten nicht zur Gänze lösen können. In beiden Serien bleibt der Antrieb der Einzelnen, sich von der breiten Gesellschaft abzuwenden, implizit. Wytske van Keulen (*1982) zeigt in ihrer Dia-Installation "Sous Cloche", dass der Rückzug in die Einsamkeit oftmals in persönlichen Lebenskrisen, Krankheiten oder Trennungen gründet.

Während der Arbeit an ihren Projekten haben viele Fotografen und Fotografinnen längere Zeit bei ihren Protagonisten gelebt, gearbeitet und, wie Renate Niebler (*1956) für Ihre Serie über die Nonnen des Sühneklosters "Karmel Heilig Blut" auf dem KZ-Gedenkgelände Dachau, deren Alltag geteilt. Das Verhältnis des Fotografierenden zu seinen Sujets ist mitunter nicht nur das eines distanzierten Beobachters, sondern vielmehr das eines involvierten Feldforschers. Tom Hunter (*1965) begab sich mit seinen Freunden selbst auf die Reise und dokumentierte auf einer mehrmonatigen Tour von einem europäischen Musikfestival zum anderen das Aussteiger- und Hippieleben im Doppeldeckerbus.

Nicht zuletzt hinterfragen die in der Ausstellung vorgestellten Arbeiten alternative Lebensentwürfe kritisch: Timm Rauterts (*1941) Werkgruppe über die kanadischen Wiedertäufer "Hutterer", die streng nach christlichen Regeln leben, zeigt wie auch Joel Sternfelds (*1944) Serie "Sweet Earth" die Kehrseite auf, die das Leben außerhalb der Mainstreamgesellschaft mit sich bringen kann: Die Utopie einer besseren Welt geht hier zugleich mit Autorität, Züchtigung von Kindern und patriarchalen Strukturen einher. Wenn schließlich in Südafrika Boutique-Hotels auf Vier-Sterne-Niveau errichtet werden, die Touristen westlichen Luxus hinter scheinbar ärmlichen Wellblechfassaden bieten, wird die temporäre Suche nach einem einfachen Leben zum zynischen Geschäftsmodell, das Roger Eberhard (*1984) in leicht überbelichteten Polaroidaufnahmen in Szene setzt.

Künstlerliste: Carlo Bevilacqua (I), Andrea Büttner (D), Roger Eberhard (CH), Lucas Foglia (USA), Tom Hunter (GB), Pau Montes (E), Renate Niebler (D), Daan Paans (NL), Timm Rautert (D), Alec Soth (USA), Joel Sternfeld (USA), Wytske van Keulen (NL), Constanze Vielgosz (D) und Julia Zimmermann (D).


Luxus der Einfachheit
Lebensformen jenseits der Norm
10. Oktober 2014 bis 22. Februar 2015
Eröffnung: Do 9. Oktober 2014, 19 Uhr