26. November 2020 - 13:29 / Karlheinz Pichler / Ausstellung / Interview 

Für den Kunstsammler und Galeristen Erhard Witzel sind Kunst und Kultur zukunftsgerichtete Visionen einer künftigen Gesellschaft. Dafür sollte jeder Einzelne eine Mitverantwortung übernehmen. Unter anderem etwa auch durch Kunstankäufe. Für ihn und seine Ehefrau und Künstlerin Uta Belina Wäger sei dieser Aspekt eine wesentliche Motivation, das Ausstellungshaus "Quadrart" in Dornbirn zu betreiben. Seit der Eröffnung dieses Raumes für zeitgemäße Kunst im Jahre 2009 wurden unter dem Reihentitel "Ansichten" insgesamt 35 Ausstellungen nach einem Gastkuratorenprinzip durchgeführt. Dieses Gastkuratorenprinzip soll im wesentlichen beibehalten werden, der Schwerpunkt der Schauen aber künftig auf Vorarlberg gelenkt werden, wie Erhard Witzel unter anderem im Gespräch mit Kultur-Online verrät.

Interview: Karlheinz Pichler

Kultur-Online: Seit der Eröffnung im Jahre 2009 hat es im Quadrart Dornbirn insgesamt 35 "Ansichten"-Ausstellungen gegeben. Was hat Euch dazu bewogen, diese doch sehr erfolgreiche Serie nun defintiv einzustellen?

Erhard Witzel: Wenn es am schönsten ist, sollte man bekanntlich aufhören. Insgesamt haben wir 35 "Ansichten" Ausstellungen mit viel Freude und großem Engagement mit KuratorInnen realisiert, die Museumsleiter, Kunstvereinsleiter, Galeristen und Künstler sind.
Nach zehn Jahren "Ansichten" im Quadrart, zehn Katalogen und mehr als 300 präsentierten Künstlern fühlten wir seit geraumer Zeit, dass es an der Zeit ist, uns für unseren Ausstellungsraum im Dornbirner Oberdorf ein neues Format zu überlegen, obwohl uns Bewerbungen für weitere zehn Ausstellungen vorliegen.

Kultur-Online: Hat es unter den 35 „Ansichten“ solche gegeben, die man als besondere Highlights herausheben könnte?

Erhard Witzel: Wir möchten keine der gezeigten Ausstellungen vermissen und deshalb auch keine besonders hervorheben.
Alle Ausstellungen waren sehr persönlich, spannend und abwechslungsreich. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten sucht seinesgleichen. Meistens waren außer den jeweiligen KuratorInnen, auch die KünstlerInnen beim Aufbau und bei den Ausstellungseröffnungen anwesend, was von unseren Besuchern entsprechend geschätzt wurde. Aus diesem Grund waren unsere Vernissagen immer sehr gut besucht, obwohl unser Eröffnungstermin am Samstag um 17 Uhr eher ungewöhnlich ist.
Besucher-Highlights waren, es ist naheliegend, die Ausstellungen in denen Vorarlberger Künstler ausstellten, beziehungsweise solche, für die wir KuratorInnen aus Vorarlberg einluden. Dies waren Ingrid Adamer, Herta Pümpel, Herwig Bitsche, Simeon Brugger, Kurt Dornig, Roland Jörg, Esche Leissing, Winfried Nußbaummüller und Gernot Riedmann.

Kultur-Online: Gibt es ganz bestimmte Gründe, mit der neuen Reihe "Auf Einladung" die Vorarlberger Kunstschaffenden derart in den Fokus zu rücken?

Erhard Witzel: Wir haben uns über längere Zeit Gedanken gemacht, wie das neue Format aussehen sollte. Im Ländle gibt es immer weniger institutionelle Räume, die Vorarlberger Künstler ausstellen. Diese Erkenntnis war u.a. für Uta und mich der Ausgangspunkt für das neue Format "Auf Einladung". Außerdem sind wir der Meinung, dass es nach zehn Jahren, in denen doch mehrheitlich überregionale und internationale KünstlerInnen bei uns im Quadrat präsentiert wurden, an der Zeit ist, den Fokus mehr auf die spannende regionale Kunstszene zu richten. Weiter wollen wir den Bekanntheitsgrad unseres Hauses, der stark nach Süddeutschland, Liechtenstein und die Ostschweiz strahlt, nutzen, um auf die Vorarlberger Kunstszene aufmerksam zu machen.

Kultur-Online: Gibt es denn in Vorarlberg so viele nennenswerte KünstlerInnen, um damit eine längere Reihe starten zu können? - Oder ist die Reihe von vornherein begrenzt?

Erhard Witzel: Es gibt in Vorarlberg eine interessante Kunstszene und dazu KünstlerInnen, die hervorragende kuratorische Fähigkeiten besitzen, was bereits Edgar Leissing und Gernot Riedmann in „Ansichten IX und XX“ bewiesen haben. Diese Erkenntnis wollen wir in den kommenden fünf Jahren in den von uns geplanten fünfzehn Ausstellungen, sprich drei Ausstellung per anno, mit einem hoffentlich großen Publikum teilen.
Von zehn KünstlerInnen, die bisher von uns eingeladen wurden eine Ausstellung zu kuratieren, haben bereits acht zugesagt.

Kultur-Online: Dürfen die KuratorInnen auch überregionale und internationale Kunstschaffende zu solchen Werkschauen einladen?

Erhard Witzel: Die KuratorenrInnen sind vollkommen frei in ihren Entscheidungen, das heißt, sie können gerne auch überregionale KünstlerInnen zu der Ausstellung einladen. Aber unser Blick richtet sich verstärkt auf Vorarlberg, was wir auch in jedem unserer Gespräche klar herausstellen.
Wir sind der Meinung, dass die KuratorInnen anstatt überregional auszuwählen, eher zum Beispiel Kollegen aus anderen Sparten der Kunst einbinden, so etwa Schriftsteller, Musiker, Tänzer, auch Philosophen können wir uns vorstellen. Das würde dazu unserem Grundgedanken gerecht, der lautet: "Wir wollen und wünschen uns, dass kontrovers auf die Bandbreite der Kunstformen hingewiesen und über die Vielfalt der Inhalte gesprochen und diskutiert wird".

Kultur-Online: Als KuratorInnen sollen bei der Reihe „Auf Einladung“ ja durchwegs Kunstschaffende agieren. Werden diese von Euch als Quadrart-Betreiber direkt ausgewählt oder kann man sich mit Konzepten als Kurator dafür bewerben?

Erhard Witzel: Ich glaube, so langsam kennt man mich hier im Land und weiss wie ich ticke. Natürlich können sich KünstlerInnen bewerben. Doch gibt es gewisse Voraussetzungen, so u.a. Professionalität. Wenn uns dazu die Ausstellungsidee gefällt, sind wir in alle Richtungen offen.

Kultur-Online: Die KuratorInnen sind ja jeweils selber auch mit Werken in den von ihnen kuratierten Ausstellungen dabei. Ist es nicht problematisch, dass sich KuratorInnen selber in eine Schau hineinkuratieren? - Oder geht es hier vor allem um "Wahlverwandtschaften" aufzuzeigen? - Nämlich indem die oder der KuratorIn passende andere Positionen in den Ausstellungsraum holen?

Erhard Witzel: Ganz im Gegenteil. Es sollen ganz unterschiedliche Positionen präsentiert werden, ähnlich wie bei unserem "Ansichten"-Format. Die KuratorInnen sollen mit ihren Arbeiten in einen Diskurs mit ihren mehr oder weniger gut bekannten KollegInnen treten, vielleicht nach der Devise: Mit „Dem“ oder „Der“ wollte ich immer schon mal machen, hatte aber bisher keine Gelegenheit und kein Forum.

Kultur-Online: Besteht nicht die Gefahr, dass manche Kunstschaffende dann sehr oft in Dornbirn zu sehen sein werden und andere gar nicht?

Erhard Witzel: Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Es gibt natürlich eine Reihe von KünstlerInnen hier in Vorarlberg, die permanent gezeigt werden, was verschiedene Gründe hat. Mit unserer bisherigen Kuratoren-Auswahl und auch den uns bereits bekannten, ausgewählten KollegInnen, die mit diesen KuratorInnen ausstellen, sind wir überzeugt, dass es ganz außerordentliche und abwechslungsreiche fünf Jahre werden.

Kultur-Online: Die "Ansichten"-Ausstellungen wurden jeweils immer in einem Jahreskatalog dokumentiert. Geschieht dies bei der neuen Serien auch?

Erhard Witzel: Wir werden keine Jahreskataloge mehr produzieren, sondern eine Sammelbox im DIN A5 Format. In dieser Sammelbox ist dann jeder der ausgestellten Künstler vertreten. d.h. es werden sicherlich circa 70-80 KünstlerInnen in dem Gesamtkatalog vertreten sein. So entsteht ein interessanter und fokussierter Überblick über die Kunstszene Vorarlbergs.
Als Besonderheit wird es zu jeder Ausstellung, sprich 15 Mal, eine Sonderedition in einer 10er Auflage geben, die wir, das ist Ehrensache, komplett ankaufen. Diese Editionen sind aber keineswegs einzeln, sondern nur im Abonnement zu erwerben. Die Abonnenten für die "Collectors Box de Luxe" zahlen pro Jahr 250 €, sprich 1250 € in den kommenden fünf Jahren. Dafür liefern wir 15 exquisite Kunstwerke im A5-Format zu einem sehr, sehr überschaubaren und günstigen Preis - und das inklusive dem "Künstler-Karten-Gesamt-Katalog" in einer qualitativ hochwertigen Sammelbox.

Kultur-Online: In der Vergangenheit gab es auch Kooperationen mit dem Vorarlberg Museum. Ist diese Zusammenarbeit beendet oder geht es auch hier weiter?

Erhard Witzel: Die Kooperation mit dem Vorarlberg Museum war von Anfang an auf Zeit ausgerichtet. Nach drei Jahren waren wir alle der Meinung, dass wir uns eine Pause gönnen sollten.
Es kann aber ohne weiteres sein, dass dieser Kooperationsgedanke zu einem gegebenen Zeitpunkt wieder aufgegriffen wird.
Dazu noch eine Anmerkung: Wir werden natürlich, wie in den letzten zehn Jahren gewohnt, vier Ausstellungen im Jahr realisieren. Es sind drei Ausstellungen im Format "Auf Einladung" und dann gibt es eine weitere, die vierte Ausstellung. Diese kuratiere generell ich, und werde jeweils unter einem bestimmten Thema Arbeiten aus meiner umfangreichen Sammlung zeigen.

Kultur-Online: Könnten Sie zum Abschluss noch eine persönliche Einschätzung zur Situation der Vorarlberger Kunstschaffenden in anbetracht der anhaltenden Corona-Krise geben?

Erhard Witzel: Ich bin mit meiner Kollegin Herta Pümpel seit nunmehr zwei Jahren Kunstankäufer für das Land Vorarlberg. In dieser Zeit haben wir viele Gespräche geführt. Mein Resümee: Der Leidensdruck in der Kunstszene ist sehr groß. Das liegt weniger an den Unterstützungsmaßnahmen des Landes, die meines Erachtens auch im Vergleich zu den anderen österreichischen Bundesländern, aber auch den deutschen – hier kenne ich mich noch besser aus - vorbildlich sind. Besonders trifft das zu im Hier und Jetzt, sprich in den momentan außergewöhnlichen Zeiten.

Sicherlich ist staatliche Förderung oftmals leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch das grundlegende Problem liegt ganz woanders. Es ist das immer stärker fehlende Bewusstsein der Menschen, dass Kunst und Kultur zukunftsgerichtete Visionen einer künftigen Gesellschaft sind. Die Hochkultur wie wir sie kennen, wird es in Zukunft deshalb nur dann geben, wenn jeder Einzelne in der Gegenwart bereit ist, dafür (s)einen Obolus zu zahlen und Verantwortung zu übernehmen, sprich für Kunst und Kultur angemessen Geld auszugeben.
Übrigens eine der Motivationen, warum wir das Quadrart Dornbirn betreiben und ich weiter mit Leidenschaft Kunst sammle.

ZUR PERSON:
Erhard Witzel kam 1949 im deutschen Bad Rilchingen (Saarland) zur Welt. Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Saarbrücken (1979-1975) war er bis 1986 als Mitglied der Geschäftsleitung bei der Allen Group Int. Inc. (New York und Frankfurt) tätig. Parallel zu seinem Managerjob startete er 1981 auch seine Karriere als Galerist in Wiesbaden und München. Ab 1986 als Fulltime-Beruf. Von 2009 bis heute führt er zudem mit seiner Ehefrau Uta Belina Wäger das Quadrart Dornbirn als private Kunsthalle als Raum für zeitgenössische Kunst.

Weitere Stationen (Auswahl):
1999-2013: Mitbegründer und 1. Vorsitzender des Landesverbandes der Galerien in Hessen und Rheinland-Pfalz e.V.
2015: Kulturpreisträger der Stadt Wiesbaden
2000 bis heute: Mitherausgeber der Kunstzeitschrift "Artkaleidoscope“
2007-2014: Kuratoriumsmitglied der Kunsthalle Mainz
2000-2009: Mitbegründer und Beiratsmitglied der Art Bodensee
1992-2005: Beiratsmitglied der Art Frankfurt
1999-2005: Lehrauftrag an der Akademie für Bildende Künste an der Johannes Gutenberg Universität Mainz
2019-2021: Kunstankäufer für das Land Vorarlberg, zusammen mit Herta Pümpel



Sammler und Galerist Erhard Witzel (Foto: zVg)
Sammler und Galerist Erhard Witzel (Foto: zVg)
Erhard Witzel vor einer Vitrine mit Objekten von Joseph Beuys im Quadrart Dornbirn (Foto: Karlheinz Pichler)
Erhard Witzel vor einer Vitrine mit Objekten von Joseph Beuys im Quadrart Dornbirn (Foto: Karlheinz Pichler)