Der Kunst leidenschaftlich verschrieben: Erhard Witzel

Der zwischen Wiesbaden und Dornbirn pendelnde Kunstsammler, Galerist und Ausstellungsmacher Erwin Witzel hat die „ErWi“-Stiftung gegründet, die künftig alljährliche einen mit mindestens 10‘000 Euro dotierten Kunstpreis vergibt. Im Interview mit Karlheinz Pichler von Kultur-Online erläutert er die Hintergründe, warum er seine gesamte Sammlung und sein Privatvermögen in diese Stiftung einbringt.  

Kultur-Online:  Als langjähriger Galerist, Sammler und Ausstellungsmacher sind Sie sowohl in Deutschland als auch in Österreich eine bekannte Grösse im Kunstmarkt. In Dornbirn betreiben Sie zusammen mit ihrer Frau und Künstlerin Uta Belina Waeger seit 2009 mit dem Kunstraum "Quadrart“ ein Forum für Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, Projekte, Vorträge, Lesungen und Diskussionen mit dem Ziel „den anspruchsvollen Dialog über zeitgenössische Kunst zu fördern und zu fordern“, wie der Website zu entnehmen ist. Nun haben Sie laut Presseaussendung die private, gemeinnützige „ErWi-Stiftung zur Förderung zeitgenössischer Kunst im deutschsprachigen Raum“ gegründet und dafür Ihre umfangreiche Kunstsamlung sowie einen beträchtlichen Teil Ihres Vermögens eingebracht. Was hat Sie zu diesem nicht alltäglichen Schritt bewogen? 

Erhard Witzel - Als Unternehmer und Galerist war ich nicht ganz unerfolgreich. Da ich keine Kinder habe, hat sich die Idee, eine gemeinnützige Stiftung zu gründen, über einen längeren Zeitraum in mir entwickelt, sollte in der ursprünglichen Planung aber erst mit meinem Ableben verwirklicht werden. Doch mein Vorstand und der Beirat haben mich im vergangenen Jahr bei einem gemeinsamen Treffen in Wiesbaden eines Besseren belehrt und mich eindringlich motiviert, die Realisation zeitnah auf den Weg zu bringen. Somit gebe ich bereits zu Lebzeiten mit der Gründung der „ErWi“-Stiftung einen Teil meines materiellen Erfolges an die Kunst zurück. Diese Entscheidung wird übrigens ausdrücklich von Uta, meiner Frau mitgetragen und unterstützt. 

Kultur-Online: Das Hauptziel der Stiftung ist es den Angaben nach, jährlich einen mit mindestens 10‘000 Euro dotierten Kunstpreis zu vergeben. Nach welchen Kriterien erfolgt die Vergabe? Wird hier das Gesamtwerk eines Kunstschaffenden ausgezeichnet oder ein Projekt? Soll eine junge Position gefördert oder eine ältere gewürdigt werden? 

Erhard Witzel - Der zu vergebende Kunstpreis kennt keinerlei Altersbegrenzungen und wird jährlich vergeben. Die Nominierung der möglichen Preisträger:in erfolgt über Vorschläge durch eine vom Stiftungsvorstand eingesetzte unabhängige Jury. Jedes Jurymitglied sowie der Stiftungsvorstand schlagen dann für den jährlich zu vergebenden Preis bis zu drei Künstler:innen vor, d.h. im Umkehrschluss, dass eine aktive Bewerbung nicht möglich ist.

Aus diesen maximal zwölf Vorschlägen wird letztlich ein(e) Preisträger:in ausgewählt. Dabei ist es mein ausdrücklicher Wunsch, dass es für die Jury und den Stiftungsvorstand keine speziellen Vorgaben für ihre Vorschläge gibt. So ist es ohne Probleme möglich, dass mit dem Preis z.B. das Lebenswerk eines Künstlers gewürdigt, ein sogenannter "emergent artist“ gefördert oder ein besonderes künstlerisches Projekt unterstützt wird.

Kultur-Online: Wird die Kunstpreisjury jedes Mal neu zusammengesetzt oder bleibt sie über einen längeren Zeitraum ident? Ist die Besetzung für die erste Vergabe im Jahr 2027 schon bekannt?

Erhard Witzel - Die Idee von Vorstand und Beirat ist es, ein Jurymitglied für fünf Jahre und ein weiteres Jurymitglied jährlich neu zu berufen. Das fehlende dritte Jurymitglied soll der jeweilige Kunstschaffende des Vorjahres sein. In diesem Zusammenhang eine erklärende Information: Der ehrenamtlich arbeitende Vorstand und Beirat ist auf fünf Jahre bestimmt, mit der Option der Verlängerung. Ich hoffe und wünsche mir natürlich sehr, dass alle von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, denn es handelt sich hier um Menschen, die ich seit vielen Jahren kenne und die mein absolutes Vertrauen genießen, so u.a. Kathrin Dünser, die dem Beirat angehört. Die Jury für 2027 wird, soweit ich weiß, erst im Frühjahr 2026 berufen und dann bekannt gegeben.

Kultur-Online: Da die Stiftung gemäß der Aussendung den gesamten deutschsprachigen Raum adressiert und der Preis daher international ist, erhebt sich die Frage, ob auch für Kunstschaffende aus Vorarlberg eine Chance besteht, diese Auszeichnung zu erhalten. 

Erhard Witzel - Ja, natürlich. In der Stiftungssatzung ist ausdrücklich festgeschrieben, dass im Zeitraumzyklus von fünf Jahren der Kunstpreis jeweils mindestens einmal an einen Kunstschaffenden vergeben werden muss, der im Großraum Rhein-Main bzw. in Vorarlberg lebt oder geboren ist. 

Zu diesen Regionen habe ich, das wissen alle, die mich besser kennen, eine ganz besondere Beziehung. Deshalb war es mir auch eine Herzensangelegenheit, dies explizit in der Stiftungssatzung festzuschreiben.

Kultur-Online: Was halten Sie generell von der Vorarlberger Künstlerschaft qualitätsmässig? Können die hiesigen Kunstschaffen international Schritt halten?

Erhard Witzel - Alleine durch unser derzeitiges Ausstellungsformat „Auf Einladung“ im Quadrart in Dornbirn beantwortet sich die Frage von selbst. Hier zeigen wir seit 2020 in insgesamt fünfzehn Ausstellungen – die dreizehnte davon endete vor wenigen Wochen – Arbeiten von mehr als 80 Vorarlberger Künstler:innen.

Ob die hiesigen Kunstschaffenden international Schritt halten, ist schwer zu beurteilen, aber nach meinem Dafürhalten gibt es in Vorarlberg eine große Zahl von Künstler:innen, die mit Ihren Arbeiten locker überregional reüssieren können. Doch dazu ist nicht nur hohe Qualität und Authentizität, sondern auch leider eine dicke Portion Fortune von Nöten.

Kultur-Online: Wie schätzen Sie den Kunstmarkt in Vorarlberg ein? Existiert überhaupt einer?

Erhard Witzel - Die Frage ist schnell und mit zwei Worten beantwortet: Sehr schwierig.

Beispiele dafür gibt es zu Hauf. Sei es etwa die gescheiterte Art Bodensee, dann die Galerienszene in Vorarlberg, die sich immer weiter ausdünnt, oder die neue, wirklich sehr eindrucksvoll gestartete Kunstmesse „Stage“ im Festspielhaus in Bregenz, die sich bereits nach zwei Jahren eine „Denkpause gönnt“ und erst 2027 wieder veranstaltet werden soll. 

Kultur-Onlinen: In diesem Zusammenhang eine Zwischenfrage: Sie waren ja auch im Beirat der Kunstmesse „Art Bodensee“. Woran ist diese Messe letztlich gescheitert?

Erhard Witzel - Obwohl Vorarlberg mit Liechtenstein, der Ostschweiz und Oberschwaben zu den reichsten Regionen in Europa gehört, damit meine ich das jährlich erwirtschaftete Bruttosozialprodukt, fehlt leider auf einer breiteren Basis, wie wir es z.B. vom Rheinland kennen, das Bewusstsein, Kunst zu kaufen und zu sammeln. Wir erarbeiteten, als wir 1999 in der Planungsphase zur Art Bodensee waren, eine Marktanalyse und das Ergebnis war, die Messe zu gründen. Dann mussten wir leidlich erfahren, dass bei all den theoretischen Zahlen und Analysen sowie den daraus geschlossenen Erkenntnissen leider die landmannschaftlichen Besonderheiten unberücksichtigt blieben.

Kultur-Online: Verfolgt die „ErWi“-Stiftung noch andere Ziele, außer der jährlichen Vergabe des „ErWi-Kunstpreises“? 

Erhard Witzel - Das kommt auf unsere jeweilige finanzielle Ausstattung an. Um eines final klar zu stellen, dies alles entscheide nicht mehr ich, sondern der Vorstand der Stiftung. Im Stiftungszweck gibt es für die Entscheidungsträger, sprich den Vorstand keinerlei Vorgaben, außer einer, nämlich dass nur die jährlichen Erträgnisse ausgeschüttet werden. Das Stiftungskapital darf nicht tangiert werden. Darüber wachen übrigens sehr genau die staatlichen Aufsichtsbehörden, in unserem Fall das Regierungspräsidium Darmstadt und das für die Gemeinnützigkeit zuständige Finanzamt in Wiesbaden, denen der Vorstand in jedem Jahr einen Rechenschaftsbericht vorzulegen hat.

Kultur-Online: Da Sie ja Ihre gesamte Sammlung in die Stiftung einbringen und das Budget der Stiftung vom Verkauf der Arbeiten daraus wesentlich mitgeprägt wird: Was geschieht in Zukunft mit dem Ausstellungshaus „Quadrart“? Werden dort weiterhin Ausstellungen organisiert und wenn ja, wird es ein Neukonzept dafür geben?

Erhard Witzel - Das Quadrart bleibt mit seinem Programm weiterhin ambitioniert, kreativ und fidel. Es werden, dafür garantiere ich, weiterhin spannende Ausstellungen in den kommenden Jahren zu sehen sein. Abgesehen von den dankenswerten finanziellen Unterstützungen vom Land Vorarlberg und der Stadt Dornbirn werde ich auch zukünftig den Ausstellungsbetrieb ideell und materiell subventionieren – und das aus Überzeugung und Freude! 

Kultur-Online: Was bedeutet es für Sie persönlich, sich von Ihrer Sammlung zu trennen, die ja gleichsam Ihr Lebenswerk darstellt?

Erhard Witzel - Es ist ein Akt des Loslassens, der mit viel Respekt und Dankbarkeit verbunden ist, da meine Sammlung ein Spiegelbild meines Engagements und meiner Überzeugungen ist. Für mich persönlich ist es eine Balance zwischen Abschied und Neuanfang und weil es neue, wunderbare Ziele gibt, fällt es mir wirklich leichter als gedacht, 

Kultur-Online: Dass Sie über eine große Sammlung verfügen, ist weithin bekannt. Aber es hat meines Wissens noch nie eine grosse Sammlungspräsentation in der Öffentlichkeit gegeben. Zumindest nicht in Vorarlberg. Denken Sie daran, Schwerpunkte Ihrer Sammlung im Zuge einer Ausstellung öffentlich zu zeigen, bevor sie in den Besitz der Stiftung übergeht? Da wären sicher viele Kunstinteressierte neugierig darauf. 

Erhard Witzel - Da der Vorstand wohl viele, viele Jahre brauchen wird, bis alles verkauft ist, werden wir, wie schon vor vier Jahren begonnen, in unregelmäßigen Abständen thematische Ausstellungen mit Arbeiten aus meiner Sammlung unter dem Titel „Lust auf Mehr“ im Quadrart präsentieren. Darüber hinaus gehende Präsentationen sehe ich nicht.

Kultur-Online: Sie waren ja ursprünglich sehr erfolgreich in der Wirtschaft tätig. Was hat Sie letztlich dazu bewogen, in das Kunst-Business zu wechseln und haben Sie den Umstieg nie bereut?

Erhard Witzel - Bereut? - NEIN. Trotz der fürstlichen Vergütung empfand ich meinen Manager-Job irgendwann langweilig. Zudem wurde mir in meiner Position als Vertriebsvorstand eines amerikanischen Industrieunternehmens irgendwann bewusst, dass ich als Angestellter ungeeignet bin. 

Kultur-Online: Wie legitimiert sich das Kunstschaffen heute in Anbetracht dessen, dass die Welt aus den Fugen getreten ist und an allen Ecken und Enden brennt?

Erhard Witzel - Ich denke diese Frage würde sich dazu eignen, ein weiteres Interview zu führen. 

Die Legitimation Kunst zu machen, ergibt sich automatisch, da Kunst eine Form der Reflexion, des Ausdrucks und der Hoffnung ist. Sie bietet dadurch Raum, um gesellschaftliche Missstände sichtbar zu machen, Gefühle zu verarbeiten und neue Perspektiven zu entwickeln.

In Zeiten von Krisen, wie derzeit, kann Kunst nicht nur Trost spenden und zum Nachdenken anregen, sondern auch zum Handeln motivieren. Sie ist eine Sprache, die unabhängig von Worten wirkt und Menschen über alle Ethnien und Grenzen hinweg verbindet. Somit legitimiert sich das Kunstschaffen heute für mich mehr denn je durch seine Fähigkeit, in schwierigen Zeiten Orientierung, Verständnis und Inspiration zu bieten. Die Kunst liefert einen wichtigen Beitrag, um die Welt besser zu verstehen und vielleicht auch zu verändern und besser zu machen.

In diesem Zusammenhang ist für mich eines gewiss: Alle autokratischen oder pseudo demokratischen Systeme haben genau aus diesen Gründen absolut kein Interesse an einer freien, wie auch immer gearteten kulturellen Individualität oder Autorenschaft und versuchen gestern, heute und morgen schnellstmöglich ihre Unterdrückung bis hin zur Abschaffung. Und das gelingt schneller als gedacht, z.B. durch Kürzung oder Streichung von staatlichen Subventionen oder durch Milliarden-Klagen, wie wir es eben in USA erleben.

Kultur-Online: Als Galeriengründer, Vorstand und Beirat vieler Vereine, Messen und Organisationen, Kunstsachverständiger, Kunstberater, Erwachsenenbildner etc. waren Sie in den vergangenen Jahrzehnten multifunktional unterwegs. Werden Sie – außer der Betreuung Ihrer Stiftung – hinkünftig vor allem im Ruhestand sein oder mit was darf man seitens Erhard Witzel noch rechnen. 

Erhard Witzel - Altenteil ist nichts für mich. Solange ich gesund bleibe, wird es Ausstellungen im Quadrart geben, dazu kommen meine ehrenamtlichen Aufgaben, wie der Vorsitz von „pro arte publica“ und die Organisation der Kurzen Nacht der Museen und Galerien in Wiesbaden. 

„Zur Entspannung“ gönne ich mir etwas Kunstberatung, sowie Sammlungs- und Nachlassbetreuung, aber das alles mit planbarem Zeitaufwand.

Kultur-Online: Wenn Sie nun ein Resümee über ihre jahrzehntelange Beschäftigung mit Kunst ziehen: Was hat Ihnen die Kunst über all die Jahre gegeben? Hat sich das Engagement für Kunst belohnt?

Erhard Witzel - Das ist eine sehr schöne Frage. Über all die Jahre hat mir die Beschäftigung mit Kunst viel gegeben: Sie hat meinen Horizont erweitert, mich inspiriert und mir ermöglicht, die Welt aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Dazu schafft Kunst Verbindungen zwischen Menschen, Kulturen und Zeiten und regt zum Nachdenken an. Mein Engagement IN, MIT und FÜR die Kunst hat sich definitiv gelohnt, weil es mir tiefe Einblicke, Freude und eine ständige Lernbereitschaft geschenkt hat. Es ist bis heute eine bereichernde Reise, die mich immer wieder aufs Neue fasziniert und motiviert. Deshalb ist auch mein Leitspruch „Kunst ist zwar nicht das Brot, aber der Wein des Lebens“.

Kultur-Online: Von Harald Szeemann, dem wohl wichtigsten Ausstellungsmacher der letzten hundert Jahre, stammt das Statement: „Kunst ist eine Sprache, und wer sich Zeit nimmt, sie zu lesen, wird feststellen, dass sie aktuell ist.“ (Katalog zur 49. Biennale von Venedig, 2001, S. 17) – Würden Sie dem beipflichten?

Erhard Witzel - Chapeau – deshalb zu 100 Prozent JA! Weil Kunst, wie kaum ein anderes Medium, die Fähigkeit hat, komplexe Gefühle, gesellschaftliche Themen und menschliche Erfahrungen auszudrücken und das mit tiefen Einblicken in die Zeit, in der sie entstanden und für die sie relevant ist.

 

Erhard Witzel – Stationen (Auswahl): 
- Geboren: 1949, Kindheit und Jugend im Saarland
- Studium: Betriebswirtschaft
- Zehn Jahre Geschäftsleitungsmitglied und Vertriebschef für Afrika, Mittel- und Nahost bei einem großen amerikanischen Industriekonzerns
- 1981: Gründung der Galerie Erhard Witzel in Wiesbaden
- 1992-2005: Beirat „Art Frankfurt“

- 1999: Gründung des Landesverbandes der Galerien in Hessen und Rheinland-Pfalz (Vorsitzender bis 2013, Vorstandsmitglied bis 2020)
- 1999-2005: Lehrauftrag an der Akademie für Bildende Kunst an der Johannes Gutenberg Universität Mainz

- 2000-2009: Beitrat „Art Bodensee“
- Seit 2000: Organisator der „Kurzen Nacht“ in Wiesbaden
- 2009: Gründung des Kunstraumes „Quadrart“ Dornbirn
- Seit 2017: Vorsitzender von „pro Arte publica“ in Wiesbaden
- 2019-2021: Kunstankäufer für das Land Vorarlberg
- 2025: Gründung der „ErWi-Stiftung zur Förderung zeitgenössischer Kunst im deutschsprachigen Raum“