Der Krieg ist nicht vorbei

Das vereinte Europa, die Union, mit all ihren Vorläufern, ist ein Kriegsresultat. Der letzte große, in Europa begonnene Krieg, der Zweite, der als Weltkrieg die Welt umstülpte und neu organisierte, schuf ernüchternde Bedingungen, die die maßgebenden Politiker überzeugten, dass die Installation eines Friedens nicht mehr eine diktierte Befriedung sein kann, wie nach dem Ersten Weltkrieg, dass der enge Nationalismus überwunden werden und eine Art Interdependenz hergestellt werden muss, wofür es staatenübergreifende Institutionen braucht, die zu einer Union zusammenlaufen. Mit den letzten umfangreichen Erweiterungen hat die EU dieses Europa ehemaliger Verfeindeter in eine Union konvertiert.

Zwischen Absicht und Umsetzung klaffen Abgründe, zwischen Theorie und Praxis türmen sich Barrieren. Einerseits wächst inflationsartig die Beschwörung des Europagedankens, andererseits werden Appelle stereotyp wiederholt, nur angereichert mit neuen Facetten entsprechend neuer Probleme und Aussichten.

Die Einführung der gemeinsamen Währung war nur in einer Eurozone möglich, weil einige Länder nicht mitmachten. Besonders die Briten bunkerten standhaft für ihren Eigennutz; sie haben ja den größten Finanzplatz in Europa. Trotzdem war nicht nur Ökonomen klar, dass die Prosperität an die Performanz am Weltmarkt gebunden war und ohne gemeinsame starke Währung keine adäquate Position eingenommen werden könnte. Für einige Jahre bewies sich die Richtigkeit dieser Überlegung. Aber dann wurde das System aus nationalen Gründen, aus chauvinistischem Eigennutz aufgeweicht. Die Union war so schwach, dass sie ihre eigenen Vorgaben abbauen musste, um Krisen bewältigen zu können.

Trotz gemeinsamer Währung zeigten sich in den Euro-Zonenländern deutliche Unterschiede. Die waren nicht einfach geografisch, klimatisch oder mit Bodenschätzen, Energieversorgung und dergleichen zu erklären. Gewisse Erfolge waren, auch wenn es vielen unangenehm war, auf Leistungen zurückzuführen. Besonders die Deutschen hatten den Ruf hoch produktiver Leistungsfähigkeit. Deutschland, der überwundene Hauptfeind, war zur Lokomotive geworden. Politisch übten sich alle deutschen Nachkriegsregierungen und Politiker in devoter Haltung, um ja nicht den leisesten Anlass zu provozieren, sie seien an einer nationalistischen Machtpolitik interessiert.

Trotzdem, bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten zeigte sich in der Öffentlichkeit, über massenmediale Äußerungen, über geschickt gesetzte Politikeraussagen, über lancierte Debatten, dass Deutschland immer noch die Rolle des bösen Buben erfüllt, den Hauptfeind, den man in Schach halten muss bzw. der immer schuld ist. Der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands wurde zur politischen Bürde. Es war nicht nur oberflächlicher Neid der europäischen "Partner". Oft und immer öfter wurde das Zerrbild des Nazis hervorgeholt, wurde und wird die abgeschlossene Geschichte als offen, als unerledigt, als "ewig" bemüht.

Als BMW den darnieder liegenden englischen Autohersteller Rover kaufte und nicht im Sinne der Briten, die selbst unfähig waren, ihre Autoindustrie modern organisiert zu halten, führte, regte sich das politische Denken, zeigte sich die Wut und der Hass, der tief verwurzelt schwelt, und bei Gelegenheit ausbricht: Das BMW-Logo wurde mit dem Hakenkreuz verbunden. Die BMW-Swastikas zeigten einen Teil der wahren Meinung, untermauerten das eigentliche Images der Deutschen. Dabei hatten "die Deutschen", die doch nur über eine erfolgreiche Autofirma dort agiert hatten, nichts anderes getan, als jeder andere am Markt nach kapitalistischen Maximen unternommen hätte.

Ähnliche Beispiele gab es über die Jahre immer wieder. Von den Deutschen selbst wurde das alles weggewischt oder bagatellisiert. Schwieriger wurde es, als sie sich weigerten, so ohne weiteres in den Kriegen mitzuwirken, welche die früheren Westalliierten so bereitwillig in Koalition mit der Leitmacht USA unternahmen. Der politische Druck nahm zu. Es war absurd paradox. Einerseits warnte man vor einer Aufrüstung der Deutschen und rührte immer wieder an historische Beispiele ihrer Kriegsgeilheit. Andererseits, das las ich vor allem in britischen Tabloids, höhnte man, dass sie jetzt feige seien bzw. ihrer Verantwortung nicht nachkämen. Und die Verantwortung hieß Krieg. Die Deutschen brachen ihr Grundgesetz, um die lästigen ausländischen Kriegszüge mitzumachen, nur um nicht als Partner auszuscheren. Zuviel stand auf dem Spiel, zu stark war der freundschaftliche Druck. Also verteidigen Deutsche nicht nur Deutschland in Afghanistan, sondern Europa. Katastrophal, zumindest in den Augen der Alliierten, der NATO und der öffentlichen Meinung, war die Weigerung, nicht an der militärischen Schutzmassnahme und Humanintervention in Libyen teilzunehmen. Denn wieder stand für das friedliche Europa Krieg am Programm.

Der alte Krieg ist aber nicht vorbei. Er wird in Aspekten revitalisiert. Als die Griechen tief in den Bankrott schlitterten, wurden die Gründe, wie üblich, außen gesucht und gefunden. Die Deutschen waren schuld. Ihre Banken investierten und gaben Kredite für unnötige Ausgaben. Die Deutschen hätten sich über den Euro bereichert, auf Kosten der Union. Und überhaupt, sie haben noch nicht alles vom Zweiten Weltkrieg bezahlt. Diese Exnazis sollen endlich Reparationszahlungen leisten. Im Ernst forderten die Griechen Riesensummen, die sie nicht erhalten hätten, die ihnen zustünden. In der Not zeigt sich das wahre Gesicht: Die Deutschen sind verdienter Maßen Zahlmeister und Melkkuh, weil sie ewig eine Schuld abzuzahlen haben. Die Griechen bewiesen nicht nur mit gefährlichen Forderungen dieses Erbe, diese Schuld, sondern bewiesen, vor allem für die Masse der Ungebildeten, dass der Feind einen Namen hat: Deutschland. Logisch, dass Merkel in SS-Uniform als Verkörperung der Hitlerei hingestellt wird. Die Wut auf die Deutschen hilft kurzfristig dem Spannungsabbau. Langfristig?

Die Nazizeit bildet immer noch die Folie für das Image, ja sogar für einige Realpolitiken. Die Sicht der Östler ist in vielem ähnlich jener der Südländer der Union: Deutschland ist schuldig. Sein Erfolg gründet auf faulen Geschäften, auf Ausnutzung des Euros usw. Das hilft, die eigenen korrupten Misswirtschaften keiner schonungslosen Prüfung zu unterziehen, das kanalisiert öffentlichen Zorn.

Und das soll das Europa sein, von dem ich all die Jahre die Beschwörungsformeln hörte? Die EU hat bislang als Konstrukt zur Verhinderung offener Kriege in der Union getaugt. Die Zuspitzung der Krisen zeigt aber die Brüchigkeit, die nicht nur wirtschaftlich ist. Zu viele Staaten orientieren sich am Feindbild Deutschland, gebärden sich chauvinistisch und revanchistisch. Das ist nicht nur dumm, sondern überaus gefährlich. Kriegerische Zeiten.