Der kleine Genetiker

2. Oktober 2017 Kurt Bracharz
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Als Kind bekam ich einen Chemiekasten, mit dem man eine Reihe von Experimenten durchführen konnte, alle in der Liga des Herstellens von Seife und der Kristallbildung in gesättigten Zuckerlösungen. Nichts war giftig, nichts war ätzend, nichts konnte explodieren. Das fand ich sehr schnell sehr langweilig und würde von meinem heutigen Standpunkt aus sagen: das war es auch.

Da gibt es heute schon ganz andere Baukästen, zum Beispiel im Biologiebereich, die sich zwar nicht gerade an Kinder, aber durchaus als Laien richten. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hat Do-it-Yourself-Gentechnik-Baukästen der US-Firma "The Odin" untersucht, die per Internet frei bestellbar sind. Sie heißen zwar nicht "Der kleine Genetiker", sondern "The CRISPR Cas 9 Bacterial Genomic Editing Kit" und sind offenbar eher für Schulen gedacht, aber bestellen kann sie jeder, der immer schon einmal eine streptomycinresistente Variante des Bakterienstamms Escherichia coli HME63 herstellen wollte.

Streptomycin ist ein Antibiotikum, und Escherichia coli, meist als E.coli abgekürzt oder als Koli-Bakterium bezeichnet, ist ein Bakterium, das man in unteren Teil jedes menschlichen und warmblütig-tierischen Darms findet, wo es Vitamine produziert, aber auch Krankheiten auslösen kann. Die Basensequenz des Genoms einiger E.coli-Stämme ist vollständig aufgeklärt, deshalb hat man auch für Mensch, Tier und Umwelt angeblich ungefährliche Stämme züchten können. Ein solcher ist Escherichia coli HME63, der sich außerhalb einer gentechnischen Anlage nicht oder nur eingeschränkt vermehren kann.

Mit dem Baukasten von "The Odin" kann man mittels der "Genschere" CRISPR/Cas9 und einer mitgelieferten template-DNA die Bakterien so verändern, dass sie gegen Streptomycin immun sind.

Die Untersuchungen der Experimentierkästen durch das LGL haben ergeben, dass statt E.coli eine Reihe von pathogenen Bakterien geliefert wurde: Klebsiella pneumoniae, Enterobacter cloacae, Kluyvera intermedia, Enterococcus faecalis und Bakterien der B. cereus-Gruppe. Sie alle sind nicht harmlos wie E.coli HME63, sondern zumindest potentiell krankheitserzeugende Erreger der Risikogruppe 2, mit denen weder Privatpersonen im Küchenlabor noch Schulen mit gentechnischen Anlagen der Sicherheitsstufe 1 experimentieren dürfen.

Bio-Hacking ist zwar ein weitaus weniger verbreitetes Hobby als Computer-Hacking, aber es gibt durchaus eine Biohackerszene, und dass man Bakterienstämme, die – wie die genannten – eh schon gegen viele Antibiotika resistent sind, im Experimentierkasten über das Internet beziehen kann, ist keine erfreuliche Option.