Der Kaviar sucht seinen Schlafrock

5. Mai 2014 Kurt Bracharz
Bildteil

"Es muss nicht immer Kaviar sein", sagt die Tänzerin Josephine Baker zum deutschen Bankier und Geheimagenten Thomas Lieven, allerdings nur im gleichnamigen, erstmals 1960 erschienenen Roman des in Wien geborenen Schriftstellers Johannes Mario Simmel (1924 – 2009).

"Es muss nicht immer Kaviar sein" war wahrscheinlich der erste Roman, dem sowohl in der Illustrierten-Fortsetzungsserie als auch im Buch Kochrezepte in eigenen Textkästen beigefügt wurden, eine Unsitte, die erst neuerdings in Kriminalromanen wieder aufgekommen ist, wo die Rezepte aber doch meistens in die Handlung integriert oder in den Anhang gestellt sind. In "Es muss nicht immer Kaviar sein" waren es insgesamt 106 Rezepte, kein Wunder, dass nach dem Erfolg des Romans ein entsprechendes Kochbuch nachgeschoben wurde.

"Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaftswunder machen, aber keinen Salat", lautet der erste Satz des Buches, und tatsächlich dürfte Simmel, der sich als sozialdemokratischer Aufklärer verstand, zu jener Zeit einiges an der Verbesserung der deutschen Küche gelegen gewesen sein. Er lebte ja seit 1950 in München.

"Verbesserung" ist allerdings relativ. Was heute an den Rezepten in "Es muss nicht immer Kaviar sein" zuerst ins Auge springt, ist der Glaube, Konserven seien gleichwertig mit Frischware. Für Coupe Jacques nimmt man "Fruchtsalat (frischen oder aus Büchsen)", für Risi-Pisi Dosenerbsen, für Schwedenfrüchte "eine Büchse gemischtes Kompott, gut im Eisschrank gekühlt, mit etwas Rum abgespritzt und mit viel flüssiger Sahne übergossen. Im Notfall kann man auch Büchsensahne verwenden."

Andere Rezepte muten auch für 1960 so simpel an, dass ihre Aufnahme verwundert. So dürfte eine deutsche Hausfrau damals schon Käsetoast (mit Butter bestrichenes und mit Emmentaler oder Edamer belegtes Weißbrot im "gut angewärmten Rohre fünf Minuten gebacken") ohne Simmels Tipp bewältigt oder Reis zubereiten gekonnt haben (Simmel kocht Reis eine Viertelstunde lang in einer "beliebigen Menge Wasser", spült ihn kalt ab und erwärmt ihn dann wieder mittels Wasserdampf). Sardinentoast wird gemacht, indem man kurz angebratene Ölsardinen auf Toastscheiben legt, "Melone in Champagner" ist genau das: Melonenstücke in Champagner, in der Melonenschale serviert. "Frische Birnen mit Käse" sind, nun ja, Birnenscheiben mit je einem Stückchen Käse. Nur Simmels "Götterspeise" ist etwas ganz anderes als das, was man normalerweise unter diesem Wort versteht, also kein Wackelpudding.

Es dürften am Rezeptteil im Laufe der Zeit Veränderungen vorgenommen worden sein: Während man bei den Eintragungen zum Roman im Internet ein Rezept für "Kaviar im Schlafrock" findet, kennt die "vollständige Taschenbuchausgabe" bei Knaur 2003 zwar ein Rezept "Blini mit Kaviar", aber keinen Schlafrock mehr für den Störrogen. Das könnte daran liegen, dass dieser "Schlafrock" nicht wie üblich bei Äpfeln oder Würstchen im Schlafrock aus Teig war, sondern eine ausgehöhlte Kartoffel mit Kaviar gefüllt wurde – das kam Simmel später vielleicht doch zu piefig vor. Bei den "Blini mit Kaviar" steht allerdings auch noch in der Ausgabe von 2003: "Man nehme pro Person zwei in Butter frischgebackene dünne Eierkuchen von Handgröße (...), bestreiche den ersten Eierkuchen mit einer Scheibe Kaviar, decke den zweiten Eierkuchen darüber, übergieße mit heißer zerlassener Butter und überziehe mit dicker saurer Sahne. – (Man stellt die echten Blini aus Buchweizenmehl her, das aber bei uns schwer erhältlich ist.)"

Nur einmal gestattete sich Simmel bei seinen Rezepten Ironie, bei der "Lady-Curzon-Suppe" nämlich, wo er zunächst schreibt, dass die Gattin des englischen Vizekönigs empfahl, nur die Vorderfüße der Suppenschildkröte zu verwenden. "Sie enthalten das beste Fleisch. Zum Würzen nehme man Dragon und Thymian, Ingwer, Muskat, Nelken sowie Curry. Ein Glas Sherry gehört in die Suppe, in der möglichst noch Schildkröteneier, Würstchen aus den Därmen und eine Farce von den Innereien des Tieres schwimmen sollen." Dann kamen Simmel wohl doch die Zweifel, ob 1960 in Deutschland Schildkröteneier und Würstchen aus dem Därmen (!) aufzutreiben seien, und er wiegelte ab: "Wem dies jedoch zum umständlich erscheint, der kaufe sich im Laden eine Büchse fertige Schildkrötensuppe, vergesse allerdings nicht, einen kräftigen Schluck Sherry und einen Tassenkopf Sahne hineinzugießen."

Unfreiwillig komisch ist das Rezept für Kraftbrühe: "Kraftbrühe aus Rindfleisch, Knochen und Suppengemüsen herzustellen, dürfte wohl jeder Hausfrau geläufig sein."