Der Hang zum Hang

11. Januar 2017 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Er zeichnet sein Klangbild der Welt mithilfe des Pianos, verschiedenen Metallklangkörpern, dem Vibrandoneon, Perkussionsinstrumenten aller Art, seiner Stimme, und selbstverständlich dem Hang. Das Hang ist immer mit von der Partie. "Morgenland" (GLM Music), so heißt seine aktuelle CD, sein aktuelles Projekt. Es ist nicht das erste Album von Martin Kälberer. Ich erinnere mich, als ich im Jahre 2013 seine CD "Goya" das erste Mal hörte. Ich sage Ihnen: so schön kann Stille klingen!

Doch jetzt möchten Sie vielleicht zunächst einmal wissen, was ein Hang ist? Das Wort Hang [haŋ] ist hoch Allemannisch, eine bärndütscher Bezeichnung für die Hand. Der Plural ist weder Hänge noch Hangs, sondern Hanghang (aber vergessen Sie nicht, das g nicht zu sprechen).

Das Hang besteht aus zwei miteinander verbundenen Halbkugeln aus Metall (sie erinnern an die ersten Fotos, die man von UFO sah). Auf der oberen Halbschale (der Ding-Seite) befinden sich Tonfelder (Vertiefungen). Es wird waagerecht oder senkrecht auf dem Schoß gehalten und mit den Fingern und Händen (deshalb der Name Hang) gespielt. Es ist kein Schlaginstrument und es als Trommel zu bezeichnen, es so zu behandeln, würde das Hang und jene, die es bauten, bestenfalls nur verstimmen. Das Hang wird nicht geschlagen, sondern sehr sanft behandelt. Es wird berührt, gestreichelt oder angetippt. Und so wie der Martin Kälberer dieses Instrument berührt, so berühren die Klänge, die er dem Hang entlockt, die Zuhörer.

Aber nun zurück zu der aktuellen CD "Morgenland" von Martin Kälberer. Morgenland ist eine Suite in fünf Teilen. Eine Betrachtung in fünf Teilen nennt es Kälberer selbst. Während ich "Morgenland" hörte, füllte ich mich wunderbar. Entspannt, gelassen, wohlig. Dann las ich die Presse-Informationen und die des Komponisten.

Und jetzt? Jetzt habe ich einen Hang-over! Einen musikalischen Hang-over sozusagen. Ja, ich fühle mich in der Tat etwas verkatert. Dem Hörgenuss folgte auf dem Fuße der Katzenjammer. Ich jammere darüber, mal wieder so viel als möglich gewusst haben zu wollen.

Was will uns der Künstler damit sagen? Diese Frage mochte ich noch nie. Und das hat seinen Grund! Es ist mir nämlich wurscht, was mir der Künstler sagen will! Wichtig ist, was dessen Kunst mit mir macht. Ich will erfahren und erfühlen, was mein Innerstes aus dieser Kunst macht und welche Gedanken und Gefühle sie auslöst. Wenn Künstler sich etwas mehr zurückhielten, es den Betrachtern, Zuhörern oder Lesern überließen, was bei ihren Werken zu denken, zu fühlen, zu hören und zu sehen ist, dann würden sie mehr Menschen erreichen und vermutlich auch mehr verkaufen (Kunstwerke, nicht Menschen!). Denn sie leben nicht von ihrer Kunst, sondern vom Verkauf derselben.

Im Bezug auf die Morgenland-Suite heisst das, dass mir zum Beispiel Teil IV ausgesprochen gut tat. Diese Musik ist so sanft und tief, so wohltuend, beruhigend, ja, entspannend nach einem hektischen Tag voller schlechter Nachrichten. Kälberers Musik ist ein akustischer Genuss im Gegensatz zu jener komprimierten und nervtötenden Dauerbeschallung, vor der zu flüchten für mich immer schwieriger wird.

Ja, diese Musik tat mir gut bis ... bis ich las, was der Komponist mir damit sagen möchte. Jetzt fühle ich mich mies und habe ein schlechtes Gewissen. Zudem kommen mir Zweifel daran im Stande zu sein, Musik wirklich zu verstehen. "Aleppo", so heißt der IV. Teil der Morgenland-Suite. Wie konnte ich dabei bloß entspannen, mich beruhigen, vor mich hin träumen!?

Die Gefühle und Stimmungen, die Musik auslöst, ist und bleibt für mich eine sehr subjektive, persönliche Angelegenheit. Was ich höre, rieche, sehe, schmecke, verknüpft und verbindet sich automatisch mit meinen Erfahrungen - wenn ich nicht wissenschaftlich herangehe, doch das ist nicht meine Art, nicht mein Wunsch und nicht mein Bestreben.

Sie haben die Wahl. Sie können diese Musik von Kälberer einfach geniessen (!), oder Sie recherchieren, informieren sich über die Beweggründe des Komponisten und hören die Morgenland-Suite wie eine Geschichte, die Martin Kälberer Ihnen erzählt.

Jedem sein oder seinen Hang. Der Kälberer hat eins, und ich auch. Der Kälberer hat ein Hang zum Musik machen, ich hab einen Hang zum Genuss!

Herzlichst,
Rosemarie Schmitt