26. Dezember 2019 - 5:40 / Aktuell / Geschichte 

Durch eine kleine Öffnung in der Wandung konnten im Jahr 2013 erstmals Aufnahmen im Inneren des berühmten Grabmonuments angefertigt werden. Diese sensationellen Bilder dokumentieren die aufwändigste bislang bekannte Herrscherbestattung des europäischen Mittelalters.

Für Fachleute, die sich vor allem mit der Kunst- und Kulturgeschichte des europäischen Mittelalters sowie der frühen Neuzeit befassen, ist es eine absolute Ausnahme, dass sie meinen, für einen Moment die Gefühlslage nachempfinden zu können, in der sich Howard Carter befunden haben muss, als er auf die Reichtümer im Grab des Tutanchamun stieß.

Für einige ExpertInnen des Kunsthistorischen Museums Wien ergab sich dieser Moment im Zuge der Erstsichtung des Bildmaterials, das die Dombauhütte zu St. Stephan im Jahr 2013 angefertigt und ihnen später vorgelegt hatte, um über eine mögliche Kooperation zur Erforschung und Publikation des damit dokumentierten Bestandes zu sprechen. Unter den insgesamt vierzehn Begräbnisstätten von Königen und Kaisern des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter war nur jene Kaiser Friedrichs III. (1415-1493) im Laufe der Jahrhunderte nie geplündert oder aus anderen Gründen verändert und dabei in Hinblick auf ihren Inhalt so dokumentiert worden, dass konkrete Aussagen zum Inhalt möglich gewesen wären. Daher konnte im 20. Jahrhundert auch das Gerücht entstehen, dass das Grab im Stephansdom leer sei und der Kaiser dort gar nicht bestattet worden wäre. Diese Vermutungen gaben 1969 den Anlass, eine kleine Öffnung in der Wandung des berühmten Hochgrabes anzulegen. Über diesen Weg ließen sich mit Hilfe von Lampen und Spiegeln zwar der Leichnam im Grab und ein kleiner Teil der Ausstattung erfassen; Fotos konnten damals jedoch keine angefertigt werden. Diese entstanden erst im Jahr 2013 nach nochmaliger Öffnung des zwischenzeitlich vermauerten kleinen Durchbruchs. Diese Aufnahmen stehen im Zentrum des Projektes und der Publikation, die Beiträge internationaler ExpertInnen zum historischen Kontext und zum derzeitigen Kenntnisstand bezüglich des Inhalts enthalten wird. Selbst übliche Teile einer Herrscherbestattung, wie die dem Toten beigegebenen Funeralinsignien - Krone, Szepter und Reichsapfel - sowie die Textilien, die den Leichnam bedecken, geben in diesem Fall einen außergewöhnlichen Aufwand zu erkennen. Überhaupt einzigartig sind die großen vergoldeten Metallplatten mit Texten, welche die Leistungen Friedrichs, vor allem aber jene seines Sohnes Maximilians I. preisen, der das Grabmonument nach dem Tod des Vaters vollenden und dessen Leichnam im Jahr 1513, also 20 Jahre nach dem Ableben, darin bestatten ließ. Einzigartig in dieser Zeit ist auch die Verwendung eines Sarges im Inneren aus glasierten Keramikplatten, bei dem vielleicht ebenso wie bei den im Grab befindlichen münzähnlichen Prägungen, die aus Anlass der Umbettung 1513 entstanden, bewusst auf antike Bestattungspraktiken zurückgegriffen wurde.

Eine gänzliche Öffnung des Grabes war 2013 nicht möglich und ist auch für die nähere Zukunft nicht zu erwarten. Das große Gewicht der zum Teil tonnenschweren Einzelteile und die komplexe Bauweise des künstlerisch so bedeutenden Hochgrabes setzen hier Grenzen, die sich ohne Gefährdung des Bestandes auch heute noch nicht überwinden lassen. Die Erkenntnisse und Ergebnisse zur Situation im Inneren des Grabes beruhen daher fast ausschließlich auf der Analyse der Fotos. Nur kleine Bruchstücke vom Keramiksarg und ein winziger Teil von einem Textil im Grab wurden entnommen und konnten daher auch naturwissenschaftlich untersucht werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes ließen sich daher bei weitem nicht alle Fragen klären und abschließend beantworten. Dennoch erschien es den Beteiligten richtig, das Fotomaterial und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zusammenzuführen und als einzigartige Dokumentation einer nach wie vor im ursprünglichen Zustand befindlichen Bestattung eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches für die weitere Forschung verfügbar zu machen. Das Material gewährt im wahrsten Sinn des Wortes bislang unbekannte Einsichten, die nicht nur das Interesse der historischen Forschung zu Kaiser Friedrich III. und zu seinem Sohn und Nachfolger Kaiser Maximilian I. (1459-1519) verdienen, sondern auch jenes einer breiteren Öffentlichkeit.

Als wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse lassen sich etwa benennen:

  • der Umstand, dass erstmals Bilder von der einzigen Kaiserbestattung des späten Mittelalters im Heiligen Römischen Reich vorliegen, deren Form und Inhalt in den größten Teilen bis dahinvöllig unbekannt war und dabei einen nach wie vor authentischen Zustand zeigt.

  • das neu gewonnene Verständnis für den großen Einfluss, den Maximilian I. und sein humanistisches Umfeld auch auf die Ausstattung des Grabes bei der Umbettung 1513 nahmen, die Friedrich III. – ganz im Gegensatz zu dem, wie Maximilian I. selbst bestattet werden wollte - auch im Grab als "Kaiser der Römer" erkennbar machen sollte.

  • das Wissen um das erste erhaltene Beispiel des Typus der Mitrenkrone, das aufgrund der weiteren historischen Entwicklung bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806) mit dem Haus Habsburg verbunden bleiben sollte und in formaler Hinsicht als Vorläufer der sog. Rudolfskrone von 1602 gelten kann, die 1804 zur Krone des Kaisertums Österreich wurde (heute in der Wiener Schatzkammer ausgestellt).

Der Blick in das Grab
Ein Forschungsprojekt zur Bestattung Kaiser Friedrichs III. in St. Stephan
Eine Kooperation des Kunsthistorischen Museums Wien und der Dombauhütte zu St. Stephan
Eine umfassende wissenschaftliche Publikation zu diesem Forschungsprojekt erscheint im Dezember 2019 erscheinen.
"in hoc precioso monomento". Die Bestattung Kaiser Friedrichs III. im Wiener Stephansdom, hrsg. von Franz Kirchweger, Katja Schmitz- von Ledebur, Heinz Winter und Franz Zehetner (Schriften des Kunsthistorischen Museums, Band 20, hrsg. von Sabine Haag)

Kunsthistorisches Museum
Maria Theresien-Platz
A - 1010 Wien

W: http://www.khm.at/

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Das Grabmal Kaiser Friedrichs III., Niclaus Gerhaert mit Werkstatt und Nachfolger, Wien und Wiener Neustadt, zwischen 1467 und 1513/1517, im Südchor der Dom- und Metropolitankirche St. Stephan © KHM-Museumsverband
Das Grabmal Kaiser Friedrichs III., Niclaus Gerhaert mit Werkstatt und Nachfolger, Wien und Wiener Neustadt, zwischen 1467 und 1513/1517, im Südchor der Dom- und Metropolitankirche St. Stephan © KHM-Museumsverband
Die Grabplatte mit dem Bildnis Kaiser Friedrichs III., Ausschnitt, Niclaus Gerhaert von Leyden, 1467-1473 © KHM-Museumsverband
Die Grabplatte mit dem Bildnis Kaiser Friedrichs III., Ausschnitt, Niclaus Gerhaert von Leyden, 1467-1473 © KHM-Museumsverband
Blick in das Innere der Grabkammer gegen Westen mit dem Sarg aus glasierten Keramikplatten, den Schrifttafeln an Nord- und Südwand sowie der die Deckplatten überragenden Grabkrone © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick in das Innere der Grabkammer gegen Westen mit dem Sarg aus glasierten Keramikplatten, den Schrifttafeln an Nord- und Südwand sowie der die Deckplatten überragenden Grabkrone © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick in das Innere gegen Nordwesten auf die über die Deckplatten hinausragende Grabkrone und die Schrifttafeln an der Nordwand © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick in das Innere gegen Nordwesten auf die über die Deckplatten hinausragende Grabkrone und die Schrifttafeln an der Nordwand © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick gegen Westen auf den in Stoffbahnen gehüllten Leichnam Kaiser Friedrichs III. im Keramiksarg mit gekippter Deckplatte, dem zur Linken des Toten abgelegten Schwert und dem dort zum Liegen gekommenen abgefallenen Arm des Kruzifixus © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick gegen Westen auf den in Stoffbahnen gehüllten Leichnam Kaiser Friedrichs III. im Keramiksarg mit gekippter Deckplatte, dem zur Linken des Toten abgelegten Schwert und dem dort zum Liegen gekommenen abgefallenen Arm des Kruzifixus © Dombauhütte zu St. Stephan
Gesamtansicht der Mitrenkrone auf dem mit einer Stoffbahn bedeckten Schädel des toten Kaisers © Dombauhütte zu St. Stephan
Gesamtansicht der Mitrenkrone auf dem mit einer Stoffbahn bedeckten Schädel des toten Kaisers © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick auf die Mitrenkrone über dem mit Leinenbinden umwickelten und von einer Stoffbahn bedeckten Schädel mit dem Emaildekor des Stirnreifs und dem Blütenkranz darüber © Dombauhütte zu St. Stephan
Blick auf die Mitrenkrone über dem mit Leinenbinden umwickelten und von einer Stoffbahn bedeckten Schädel mit dem Emaildekor des Stirnreifs und dem Blütenkranz darüber © Dombauhütte zu St. Stephan
Die zur Rechten des toten Kaisers über einer Stoffbahn und einem Kopfpolster abgelegten Funeralinsignien Szepter und Reichsapfel © Dombauhütte zu St. Stephan
Die zur Rechten des toten Kaisers über einer Stoffbahn und einem Kopfpolster abgelegten Funeralinsignien Szepter und Reichsapfel © Dombauhütte zu St. Stephan