Das Verschwinden des Nachthimmels

In seiner Einzelausstellung "Sky Glow" zeigt der bildende Künstler Andreas Duscha eine Serie neuer, analoger Fotografien und Spiegelarbeiten, die sich mit dem Verschwinden des Nachthimmels als Folge der zunehmenden Lichtverschmutzung auseinandersetzen.

Die vermeintliche Selbstverständlichkeit der nächtlichen Dunkelheit wird gebietsweise zunehmend als schützenswertes Natur- und Kulturgut betrachtet und durch Lichtschutzzonen, sogenannte "Starlight Reserves", von der Unesco bewahrt. Visuell eindrucksstark inszeniert Duscha in der MAK Creative Climate Care Galerie die zeitlose Schönheit und mysteriöse Vielschichtigkeit der nächtlichen Dunkelheit und ihre beeindruckenden ökologischen Dimensionen.

Das Fehlen völliger Dunkelheit wirkt sich störend auf die Biodiversität und den Schlaf-wach-Rhythmus von Lebewesen aus. Auch für die Kulturproduktion hat die Nacht große Bedeutung: Der nächtliche Sternenhimmel macht die Grenzenlosigkeit des Universums deutlich. Er lässt Dimensionen und visuelle Realität verschwimmen, die Wahrnehmung und das emotionale Erleben werden herausgefordert. Seit der Romantik setzen sich Kunst und Literatur mit der Nacht auseinander, während Astronomie und Meteorologie die Himmelskörper und ihren Einfluss auf uns wissenschaftlich erfassen.

In ländlichen, weniger beleuchteten Gebieten sind mehrere Tausend Himmelskörper mit freiem Auge erkennbar. In dicht besiedelten Städten dagegen sind es heute nur mehr wenige Dutzend. Lichtschutzgebiete, die Messungen zufolge als die dunkelsten Orte Österreichs gelten (wie beispielsweise der Nationalpark Gesäuse in der Steiermark), gewinnen immer mehr an Bedeutung für die Bewahrung der Nacht.

Andreas Duscha fängt diese absolute Dunkelheit mit einer Lochkamera auf analogem Schwarz-Weiß-Film ein. Die Lochkamera fungiert als Dunkelkammer ("Camera obscura"); Licht dringt nur durch eine winzige Öffnung ("pinhole") ein. Alle Licht emittierenden Punkte der aufgenommenen Szene zeichnen sich im Rahmen der Langzeitbelichtung auf dem Film ab und ergeben das finale Bild.

Der Ausstellungstitel bezieht sich auf den "Sky Glow", das helle Glühen des Nachthimmels über großen Städten, der die Dunkelheit immer stärker beeinträchtigt. Laut einer Studie im Auftrag der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) stört die Wiener Lichtglocke die natürliche Nacht auf einer Fläche von mehr als 15 000 Quadratkilometern. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Gemessen über mehrere Jahre zeichnen sich unter anderem als Folge der Umstellung auf LED-Technik Ansätze eines Rückgangs der Lichtflut ein.

Fiktive Ansichten des Wiener Sternenhimmels, die ohne Lichtglocke berechnet wurden, bilden in einer Wandmalerei an der Stirnwand der Creative Climate Care Galerie den Hintergrund für eine Reihe gerahmter Cyanotypien, die den "Sky Glow" Wiens einfangen und die ganze Nacht belichtet werden. Das charakteristische Blau der Arbeiten macht sie auch zum symbolischen Ausdruck des Übergangs zwischen Tag und Nacht – der sogenannten "blauen Stunde".

Der "Industriemelanismus" bezeichnet ein spezielles Phänomen der sukzessiven biologischen Anpassung an die veränderlichen Bedingungen von Hell und Dunkel als Folge der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung. Zwei Fotogramme widmet Duscha dem Birkenspanner ("peppered moth"): Ende des 19. Jahrhunderts veränderte dieser besondere Nachtfalter seine Farbigkeit von weiß-gefleckt zu einfarbig dunkel, um sich besser in das verschmutzte Ökosystem einfügen und tarnen zu können. Die Makroaufnahmen, die Duscha mit Unterstützung des Naturhistorischen Museums anfertigte, zeigen die beeindruckende Textur des lichtempfindlichen, nachtaktiven Insekts.

Dunkelheit und Nacht verbinden wir vor allem auch mit dem Schlaf, der für die meisten Spezies zum Erhalt lebenswichtiger Körperfunktionen essenziell ist. Zu viel Licht stört die Bildung wichtiger Schlafhormone. In handgemachte Spiegel, die unterschiedliche Durchlässigkeits- bzw. Transparenzstufen aufweisen, ätzt der Künstler die chemischen Verbindungen der für den Nachtschlaf verantwortlichen Hormone Serotonin, Melatonin, Adenosin und Tryptophan.

Die Instrumente, die der Künstler verwendet, werden ebenfalls Teil der Ausstellung "Andreas Duscha. Sky Glow": In einer Vitrine finden sich zeitgenössische Lochkameras ("Hi-Tech"), ein mobiler Entwicklungstank, eine analoge Spiegelreflexkamera mit Makroobjektiv sowie ein analoger Belichtungsmesser ("Kaufmann’s Posograph") in der Größe eines Smartphones, der durch kombinatorische Einstellungen die Berechnung der korrekten Belichtungszeit erleichtert.

Andreas Duscha (geboren 1976) lebt und arbeitet in Wien.

Im Rahmen der neu benannten Creative Climate Care Galerie finden im MAK Ausstellungen statt, die sich mit Themen rund um Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit auseinandersetzen und damit die essenzielle Rolle von Design, Architektur und Kunst zum positiven Wandel unserer Gesellschaft aufzeigen. Das MAK ermutigt Künstler_innen und Kreative, zur Bewältigung der Klima- und ökologischen Gesamtkrise beizutragen und sich in die Gestaltung der öko-sozialen Lebensbedingungen im Digitalen Zeitalter einzubringen.

Andreas Duscha
Sky Glow
Creative Climate Care Galerie
10. Februar bis 28. März 2021