Das Streben nach Perfektion: Paul Thomas Anderson

Mit "Boogie Nights" gelang Paul Thomas Anderson 1997 als 27-Jähriger der Durchbruch und in den folgenden zwei Jahrzehnten setzte der Kalifornier zumindest mit "Magnolia" und "There Will Be Blood" Maßstäbe. Das Stadtkino Basel widmet Anderson, der in seinem Werk wie wenige eine Synthese von klassischem Hollywoodkino und modernem Autorenkino schafft, im März eine Retrospektive.

Von Kindheit an soll sich Paul Thomas Anderson, der am 26. Juni 1970 im San Fernando Valley in unmittelbarer Nachbarschaft von Hollywood geboren wurde, fürs Filmemachen interessiert haben. Schon früh sei sein einziger Berufswunsch gewesen, Filmregisseur zu werden. Sein Vater, der als DJ, Schauspieler und Synchronsprecher arbeitete, unterstützte die Pläne des Sohnes und kaufte beispielsweise schon dem 12-Jährigen eine Videokamera.

Eine Filmschule besuchte Anderson nie, hält diese sogar für überflüssig, da man Film doch direkt an großen Filmen studieren könne. So soll er sein Handwerk gelernt haben, indem er Filme seiner Vorbilder anschaute, Bücher über das Filmemachen las und sich Filme mit dem Audiokommentar des Regisseurs ansah. Er orientierte sich dabei freilich an den besten von Max Ophüls, dessen langen Plansequenzen ihn beeinflussten, über Orson Welles, Martin Scorsese und Jonathan Demme bis zu John Huston, dessen "The Treasure of the Sierra Madre" (1948) als Vorbild für "There Will Be Blood" gelten kann, Robert Altman, bei dessen letztem Film "A Prairie Home Companion" ("Robert Altman´s Last Radio Show", 2005) Anderson assistierte, und Francois Truffaut, dessen "Tirez sur le pianiste" (1960) "Punch-Drunk Love" ebenso beeinflusste wie Jacques Tatis "Playtime" (1967).

Mit 18 Jahren drehte er mit "The Diggler Story" ein 30-minütiges Mockumentary über einen männlichen Pornodarsteller, arbeitete nach zwei Semester Studium der Anglistik als Produktionsassistent für Fernsehfilme, Gameshows und Musikvideos in Los Angeles und New York, ehe er mit dem 20-minütigen Kurzfilm "Cigarettes & Coffee" (1993) zum Sundance Film Festival eingeladen wurde.

Der erste lange Spielfilm folgte 1996 mit "Hard Eight" (alternative Titel: "Last Exit Reno" und "Sydney"), ehe er im folgenden Jahr mit "Boogie Nights" den Durchbruch schaffte. Andersons zweieinhalbstündige Schilderung des Aufstiegs und Falls eines Pornostars in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren brachte nicht nur ein ebenso überraschendes wie starkes Comeback des alternden Burt Reynolds, eines Sex-Idols der 70er Jahre, sondern versammelte auch schon zahlreiche Schauspieler, mit denen das Wunderkind später mehrfach arbeitete wie Philip Seymour Hoffman, Julianne Moore, William H. Macy und John C. Reilly.

Zum fulminantem Opus magnum wurde der folgende über dreistündige "Magnolia" (1999), in dem Anderson im Stil von Robert Altmans "Nashville" (1975) und "Short Cuts" (1993), die Schicksale von neun Menschen in virtuoser Parallelmontage und über die Songs von Aimee Mann verknüpfte.

Nach einer rund einstündigen, unglaublich temporeichen Exposition, in der die Protagonisten vorgestellt werden, geht dieser Ensemblefilm zunehmend in die Tiefe, fragt bohrend nach Schuld und Vergebung, bis schließlich ein reinigendes Gewitter folgt, bei dem es im wahrsten Sinne des Wortes wie bei einer biblischen Katastrophe Frösche regnet.

Wie eine Fingerübung wirkt im Vergleich dazu die Komödie "Punch-Drunk Love" (2002). Im Mittelpunkt steht ein von Adam Sandler gespielter einsamer Jungunternehmer, der durch die Liebe aus seiner Isolation findet. Meisterhaft korrespondiert dabei die Inszenierung mit der Entwicklung des Protagonisten, wenn die statischen und distanzierten Einstellungen am Beginn, die die Atmosphäre einer kafkaesken Welt evozieren, mit dem Aufblühen der Liebe langsam von flüssigen Kamerabewegungen abgelöst werden, auch die Musik an Gewicht gewinnt und der zunächst kalte und starre Film so zunehmend wärmere und intimere Töne anschlägt.

Fünf Jahre ließ sich Anderson danach Zeit für sein Epos "There Will Be Blood" (2007), für das er sich teilweise an Upton Sinclairs 1927 erschienenem Roman "Oil!" orientierte. Von 1900 bis in die 1930er Jahre spannt er den Bogen in dieser Geschichte über den Aufstieg eines Goldsuchers zum Ölmagnaten, den seine grenzenlose Gier, sein Egoismus und seine Misanthropie in tiefste Einsamkeit treiben.

Meisterhaft transponiert Anderson Westernmotive aus dem 19. Jahrhundert ins beginnende 20. Jahrhundert, setzt an die Stelle der Geschichten von der Zivilisierung der Frontier und des Eisenbahnbaus als dritte Entwicklungsstufe die Ölförderung, mit der sich der rücksichtslose Kapitalismus endgültig durchsetzt. Unterstützt von den herausragenden Hauptdarstellern Daniel Day- Lewis und Paul Dano als sein Gegenspieler werden dabei in dem visuell grandiosen Film auch packend zeitlose Fragen nach dem Antagonismus und dem Zusammenspiel von Machtgier und religiösem Fanatismus aufgeworfen.

Ist in "There Will Be Blood" ein religiöser Fanatiker Gegenspieler der Hauptfigur, so steht dieser in "The Master" (2012), in dem sich ein Ex-Soldat nach dem Zweiten Weltkrieg einem charismatischen Sektenführer anschließt, im Zentrum. Wie in "There Will Be Blood" und Andersons allen folgenden Filmen sorgt auch hier Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood mit seiner dissonanten Musik für eine eindringliche Soundkulisse, die die psychische Verfassung des Protagonisten nach außen kehrt, während Andersons Stammkameramann Robert Elswit in grandiosen Bildern die USA der frühen 1950er Jahre zum Leben erweckt.

Im Gegensatz zu diesem konzentrierten Schauspielerfilm legte dieser Meister des modernen Kinos die Thomas Pynchon-Verfilmung "Inherent Vice – Natürliche Mängel" (2015) als durchgeknallte Krimikomödie an, die atmosphärisch dicht das Los Angeles der 1970er Jahre beschwört und mit Figurenarsenal und unübersichtlicher Handlung dem klassischen Film noir von John Hustons "The Maltese Falcon" (1941) bis Howard Hawks´ "The Big Sleep" (1946) ebenso die Reverenz erweist wie Robert Altmans "The Long Goodbye" (1973).

Die Vergangenheit scheint es Anderson angetan zu haben, denn auch mit seinem letzten Film "Phantom Thread – Der seidene Faden" (2017), bei dem er auch selbst die Kamera führte, lässt er den Zuschauer in die 1950er Jahre eintauchen – aber dieses Mal nicht in den USA, sondern in England.

Wie alle Filme hat Anderson auch dieses Drama, trotz Digitalisierung auf analogem Filmmaterial gedreht, entführt den Zuschauer nicht nur in eine vergangene Zeit, sondern spielt, wie schon in "Inherent Vice" auch hier ganz gezielt und offensichtlich mit der Filmgeschichte. Nicht mehr am Film Noir, sondern am Werk Alfred Hitchcocks orientiert sich hier aber Anderson, der wie der im Zentrum der Handlung stehende und von Daniel Day-Lewis gespielte Damenschneider nach Perfektion strebt.

Ein optischer und akustischer Genuss ist dieser Film wiederum durch Ausstattung, Kostüme und Musik, treibt raffiniert aber auch die Beziehungskonstellationen von Hitchcock-Filmen wie "Rebecca" (1940) oder "Suspicion" (1941) weiter. – Erstmals tritt dabei freilich eine starke Frau einem Mann entgegen, spielten Frauen doch bislang im Werk Andersons eine untergeordnete Rolle.

Wie in "Magnolia" und "Punch-Drunk Love" geht es aber auch hier wieder um Einsamkeit und wie in "There Will Be Blood" und "The Master" um Abhängigkeit, Macht und Manipulation. Im Gegensatz zu den düsteren letzten beiden Filmen, scheint hier aber wie in "Punch-Drunk Love" eine Erlösung für den einsamen Mann möglich, der wie die Protagonisten von "There Will Be Blood" und "The Master" in einem Wahn gefangen ist. – Die Initiative muss dabei freilich von der Frau ausgehen.

Gespannt sein darf man, wie sich Andersons Karriere weiter entwickelt. Denn der Vater von vier Kindern, dessen bisheriges Werk als ausgesprochenes Erwachsenenkino gilt, soll laut einem Interview in der Los Angeles Times derzeit mit seiner achtjährigen Tochter an einem Drehbuch für einen Film arbeiten, den auch seine Kinder anschauen können.

Eröffnungsszene von "There Will Be Blood"