Das Schweizer Schnitzel

7. November 2011 Kurt Bracharz
Bildteil

Beim "Kalbsschnitzel Cordon bleu" sind sowohl Namensetymologie als auch Herkunft und zeitliche Entstehung des originalen Rezepts ungeklärt. Für die erstere gibt es mehrere Theorien, deren Großteil sich auf den französischen Ausdruck "cordon bleu" bezieht, der laut "Langenscheidts Handwörterbuch Französisch" (1995) "gute, ausgezeichnete Köchin; homme guter, ausgezeichneter Koch" bedeutet.

Eine ganz andere, ebenfalls ungesicherte Version erzählt, dass der deutsche Kapitän Leopold Ziegenbein, nachdem er 1933 mit dem Schnelldampfer "Bremen" zum zweiten Mal das "Blaue Band" für seine Atlantiküberquerung in 4 Tagen 17 Stunden und 42 Minuten erlangt hatte, seinem Walliser oder Genfer – jedenfalls aber Schweizer – Koch aufgetragen habe, zur Feier des Tages ein besonderes Gericht mit Käse zu kreieren, worauf dieser die schon vorbereiteten Kalbsschnitzel mit Schinken und Käse gefüllt und paniert habe. Der damalige Chef-Steward der "Bremen" soll später bestätigt haben, dass bei dieser Feier, die vermutlich nur für die Mannschaft oder für einige geladene Gäste veranstaltet wurde, tatsächlich Cordon bleu auf den Tisch kam, wobei der Koch das Rezept aber schon parat gehabt (also nicht ad hoc erfunden) habe.

Als eines der regional typischen Wirtshausgericht ist das Cordon bleu heute besonders in der Schweiz verbreitet, wo angeblich pro Jahr 100 Millionen Stück verzehrt werden. Im kulinarisch historisch stark von der Ostschweiz beeinflussten Vorarlberg gehört es ebenfalls zu den Standards der Häuser mit "gutbürgerlicher Küche", nicht aber in den anderen österreichischen Bundesländern oder in Süddeutschland. Die früheste schriftliche Erwähnung soll jene in Harry Schraemlis Buch "Von Lucullus zu Escoffier" (1949) sein, aber die Chronik des Zürcher Restaurants "Bierfalken" behauptet, Cordon bleu seit 1935 kontinuierlich angeboten zu haben. Das Kalbsschnitzel Cordon bleu dürfte jedenfalls tatsächlich in der Schweiz erfunden worden sein, möglicherweise im Wallis. Deshalb ist es interessant, dass man es in Schweizer Kochbüchern von den 1930-er Jahren bis heute nur selten findet und dass es auch dann niemals unter "Schweizer Spezialitäten" subsumiert wird.

Die eigentliche Neuerung am Cordon bleu war die Panade. Rezepte für mit Käse und/oder Schinken gefüllte oder belegte und gratinierte Schnitzel gab es schon lange, in Norditalien, in Österreich oder auch in der Schweiz, zum Beispiel in Zürich mit Schinken und Kalbsbrät "gfüllti Chalbflaischtäschli". Wegen seiner Kürze sei hier aber ein deutsches Rezept für "Kalbsschnitzel Cordon bleu" aus "Das neue Küchenlexikon" von Edward Gorys (7. Auflage, 2001) zitiert: "Zwischen zwei kleinen, dünnen Kalbsschnitzeln je eine Scheibe Emmentaler und mageren gekochten Schinken legen, mit Ei und geriebenem Weißbrot panieren, in Butter braten."

Was den Käse betrifft, dürfte Greyerzer authentischer sein, aber es gibt da ein breites Spektrum, zum Beispiel verwendet im Landgasthaus Biäsche in Weesen bei Mollis der Wirt Christian Fankhauser, ein Schabziger-Fan, für sein "Riesen-Cordon-bleu Linth" das Zigerschmelzkäsli "Glarissa". Das kann man im "Urchuchi"-Band für Deutschschweiz und Graubünden von Martin Weiss (2005) nachlesen, samt einer Anmerkung zum Rezept: "Ein Cordon bleu aus Schweinefleisch wird saftiger. Verlangen Sie Fleisch vom Bäggli." In einem St. Galler Restaurant ist das Cordon bleu statt mit Schinken mit Wildbretbrät gefüllt, in Vorarlberg wird eher Bergkäse als Emmentaler verwendet. Bei den Schweizer Verkäufen an Privatkunden werden laut Statistik sechsmal mehr Schweine-Cordon bleus verkauft als jene aus Rind-, Hühner- oder Kalbfleisch (von diesen drei je etwas über 1000 Tonnen).

Auch beim Cordon bleu gibt es die Tendenz, den Namen eines doch ziemlich klar definierten Gerichts (wer ein Cordon bleu bestellt, erwartet ein mit Schinken und Käse gefülltes, paniertes Schnitzel) allzu freizügig auf die Zubereitungsweise zu übertragen und z. B. auch eine mit Gemüse gefüllte, panierte Tasche aus Fischfilet als ein "Cordon bleu" auf die Karte zu setzen. Wegen der offensichtlichen Ironie weniger trügerisch ist das Schweizer "Arbeiter-Cordon bleu", bei dem es sich entweder um einen mit Käse gefüllten und mit Speck umwickelten Cervelat oder um panierte Fleischkäsescheiben mit Käse-Schinken-Füllung handelt.