Das neue Land

Die Mehrheit der Deutschen gedenkt jetzt des 25. Jahrestages des Zusammenbruchs des Deutschen Arbeiter- und Bauernstaates, der Deutschen Demokratischen Republik, die pünktlich zum 40. Existenzjubiläum auseinanderbröselte, implodierte. Es bedurfte nicht heißer Kriege, wovor im Kalten Krieg dauernd eindrücklich gewarnt worden war, es half nicht die Mauer und die bestbewehrte Grenze in Europa. Trotz der höchsten Dichte an Spitzeln, Denunzianten und einer allgegenwärtigen Geheimpolizei, der „Staatssicherheit“, konnte der Unterdrückungs- und Überwachungsapparat das Regime nicht mehr halten. Eine kritisch hohe Anzahl von Bürgern hatte offensichtlich genug vom Lügenregime, von Betrug und Gängelung bzw. Verfolgung, Staatsterror und Folter. Diese wachsende Gruppe wollte raus und weg.

Durch die Schwächelage in der Sowjetunion wurde möglich, was der Westen eigentlich gar nicht wollte und nicht enthusiastisch begrüßte, die Wiedervereinigung. Während andere Staaten mit sezessionistischen Bestrebungen sich herumplagten, einige auch geteilt bzw. aufgeteilt wurden, konnte Deutschland mit Beendigung des Kalten Krieges ein Resultat des Zweiten Weltkriegs korrigieren und wieder zusammenfinden.

Zwar wurde die Art und Weise der „Abwicklungen“ kritisiert, und die Wiedervereinigung von vielen Linken als Raubzug der westdeutschen Amerika-Büttel und Kapitalisten schlecht gemacht. Aber das beispiellose Unterfangen der Wiedervereinigung gelang und strafte all jene Lügen, die nur „schwarz“ sahen und Unheil ahnten.

Die Bundesrepublik war besonders bemüht, keinen Rachefeldzug gegen Folterer, Mörder und Spitzel zu erlauben. Ganz wenige wurden „neutralisiert“. En gros vermochte die Nachfolgepartei der SED auch im Westen sich zu integrieren und an politischem Einfluss gewinnen. Unter dem Schutzschirm einer eigentümlichen Toleranz wurden weniger Opfer des grausamen Regimes „entschädigt“, als vielmehr smarte Täter rehabilitiert und belohnt. Das war wohl der Preis für den inneren Frieden.

Eine Art Geschichtsklitterung wurde wieder salonfähig. Diesmal nicht die sattsam bekannte hinsichtlich der Nazizeit, sondern der DDR. Dass neben den Deutungen der Unverbesserlichen dennoch Dokumente zugänglich sind, die das Gegenteil der mühsamen Verteidigungen und nachträglichen Verklärungen bzw. Glorifizierungen belegen, ist ein kleiner Trost. Dass die Aussagen jener, die litten, nicht untergegangen sind, ist besonders bedeutsam, heute und, mehr noch, morgen.

Die Bundesrepublik war kein Musterstaat. Aber eine Demokratie. Das wiedervereinigte Deutschland ist kein Musterstaat. Aber eine Demokratie. Fairerweise muss man betonen, dass es nirgends einen Musterstaat gibt. Man soll von den Deutschen nicht fordern, was niemand unterhält oder einlöst.

Einziger Wermutstropfen bleibt, dass Deutschland noch immer nicht souverän ist, an der kurzen Leine der westlichen Leitmacht, den USA, gehalten wird, und ein bequemes Feindbild abgibt, das viele Interessen bedient.

So lehrt die Geschichte der DDR nicht nur etwas vom Osten, sondern auch vom Westen. Und das wiedervereinigte Deutschland lehrt, was möglich war und was mehr noch möglich sein könnte, wäre Europa „eins“ und die „deutsche Frage“ beantwortet.