Das Neue Kunsthaus

Vom 5. Oktober 2012 bis 6. Januar 2013 zeigt das Kunsthaus Zürich in einer auf über 1300 m2 inszenierten Ausstellung, welche Angebote es in seiner von David Chipperfield Architects entworfenen Erweiterung ab 2017 dem Publikum macht. Neben Höhepunkten und Neuerwerbungen aus der eigenen Sammlung sind bedeutende Leihgaben von Henri Matisse bis zu Willem de Kooning zu sehen.

Am 25. November entscheiden die Stadtzürcher Stimmberechtigten über den Investitionsbeitrag zur Kunsthaus-Erweiterung. Das Kunsthaus begleitet die Abstimmung mit einer aufwändigen Ausstellung und macht erfahrbar, was ab 2017 geboten wird – an grosser Kunst und Architektur.

In Zusammenarbeit mit David Chipperfield Architects wird im Anfangsbereich der Ausstellung der Erweiterungsbau selber präsentiert. Diese Studio-Situation rückt eine Reihe detaillierter Modell-Elemente in Griffweite und kombiniert sie mit Bauplänen. Der Entwurf wird als Hauptwerk des renommierten Architekten erfahrbar, das noch den letzten Schliff erhält. Erstmals sind Proben von Materialien zu sehen, die in die engere Wahl genommen wurden. Grossformatige Ansichten, die anhand mehrerer Modelle des Gebäudes fotografisch erstellt wurden, vermitteln die Wirkung der neuen Räume. Sie lenken den Blick auf architektonische Details. Dabei fällt die intensive Präsenz von sanft glänzendem Messing auf – ein Material, dem David Chipperfield im bestehenden Moserbau begegnet ist, den er respektvoll zitiert.

Diese architektonischen Fenster in die Zukunft werden durch eine separate kleine, im Raum stehende "Box" ergänzt. Ihr Inneres birgt eine Auswahl an hauseigenen Schätzen einer Bewegung, die aufgrund der knappen Raumverhältnisse im bestehenden Kunsthaus sowie aus konservatorischen Gründen nicht immer gezeigt werden kann: DADA. Die Präsenz dieser DADA-Box mit ihren "ungekämmten", radikalen Inhalten kontrastiert wirkungsvoll mit der Evokation des Erweiterungsbaus, der auf eine klare, massvolle und lichte Präsenz von Architektur und äusserer Ordnung setzt.

Der Eingangsbereich empfängt die Besucher mit einem 2011 erworbenen Hauptwerk von Franz Gertsch und einem monumentalen Steinkreis von Richard Long, zwei Werken, die für komplett unterschiedliche Vorgehensweisen der Moderne stehen – und für deren Kombinierbarkeit in einem grosszügigen Präsentationsrahmen, den zu ermöglichen eine der Aufgaben der Erweiterung ist. Solche "atmenden" Präsentationen sind für die Gegenwartskunst von grosser Bedeutung. Diese und weitere unterschiedliche Funktionen und Möglichkeiten des Erweiterungsbaus stellt Sammlungskonservator Philippe Büttner vor.

Bedeutende Privatsammlungen, die ab Ende 2017 als langfristige Leihgaben ins erweiterte Kunsthaus einziehen sollen, gehören dazu. Bereits 2010 in einer temporären Ausstellung gezeigt wurde die bedeutende private Sammlung Bührle, die zu grossen Teilen auf Impressionismus und frühe Moderne setzt. Diesmal liegt der Fokus auf der Sammlung der Fondation Looser, die in der Schweiz noch nie ausgestellt war. Sie wird mit ihren Hauptwerken ab Ende 2017 als langfristige Leihgabe im Kunsthaus zu sehen sein. Ihr Schwerpunkt ist amerikanische, aber auch europäische Kunst der 1960er bis 1990er Jahre: Abstrakter Expressionismus, Minimal Art, Arte Povera.

Für diese ausschnitthafte Präsentation wurde einer der bedeutenden abstrakten Expressionisten ausgewählt: der Amerikaner Willem de Kooning mit einer für Europa einmaligen Präsenz. Seine Gemälde und Plastiken werden mit Spitzenwerken der Pop Art- Sammlung des Kunsthauses zusammengebracht: Jasper Johns, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg. Auf diese Weise sind in einer spannungsvollen Begegnung zwei zentrale Beiträge der amerikanischen Kunst der Moderne so zu erleben, wie das Kunsthaus sie künftig wird präsentieren können. Der Erweiterungsbau wird grosse Teile der Klassischen Moderne und die neuere und Gegenwartskunst beherbergen. Zusätzlich vereinigt er einen grossartigen Bestand zur französischen Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Eine Gruppe von Hauptwerken des Impressionismus und Postimpressionismus weist den Betrachter darauf hin.

Neben klassisch nach Epochen inszenierten Räumen gibt es Flächen für "dynamische", also wechselnde Präsentationen von Arbeiten aus der Sammlung, die Werke verschiedener Epochen und Gattungen vereinen können. Beispielhaft hierfür ist eine Gruppe von Werken, die um Anselm Kiefers Bild "Parsifal" kreist, in dessen Mitte der sagenumwobene Gral thront. Begleitet wird dieses grossformatige Gemälde von einem Ensemble ausgewählter Sammlungswerke des 17. bis 20. Jahrhunderts, in denen ebenfalls mythologische, mitunter gar heldenhafte Figuren die Hauptrolle spielen. Dazu gehören u.a. eine Neuerwerbung des französischen Barockmalers Philippe de Champaigne, ein Werk von Cy Twombly und ein aussergewöhnliches Bild des grossen Realisten Gustave Courbet. Zusammen erzählen diese Werke eine ganz besondere, sich aus der Kunst heraus ergebende Geschichte, an der auch die in der Nähe platzierte, raumgreifende Installation des Mexikaners Gabriel Orozco Anteil nimmt.

Auf diese thematische Accrochage mit Werken verschiedener Künstler von 1650 bis heute antwortet ein jüngst aufwändig restauriertes frühes Hauptwerk einer grossen visuellen Erlöserin: Pipilotti Rists lange nicht mehr in Zürich gezeigte Arbeit "Yoghurt on Skin" von 1994 ist Botschafterin der neueren installativen Kunst, die im Erweiterungsbau endlich den ihr zustehenden Raum erhalten soll. Opulent wird der Hinweis auf eine weitere zentrale Funktion des Erweiterungsbaus: die Schaffung eines lang ersehnten mittelgrossen Wechselausstellungsbereichs. Der gewichtige Sammlungsbestand an Werken von Henri Matisse ist mit einigen bedeutenden Schweizer Leihgaben zu einer fokussierten Matisse-Präsentation erweitert. 30 Jahre nach der legendären Matisse- Ausstellung von 1982 im Bührle-Saal, erlaubt sie einen Ausblick auf zentrale Themen- und Motivkreise dieses Meisters der Moderne, der sich die "Joie de vivre" in ihrer kultiviertesten Form auf die Fahnen geschrieben hatte.

Für Künstler wie für Betrachter gilt, dass Inspiration ein Ventil braucht. Diese Möglichkeit bietet eine Lounge, die für Begleitveranstaltungen genutzt wird, aber auch Raum für interaktive Angebote und Begegnungen bietet. Dieses Forum wird von der Präsenz neuer, eben erst aus den Ateliers gekommener Kunst von Urs Fischer, Gillian Wearing und anderen geprägt. Denn das Neue Kunsthaus wird ein lebendiger Ort für jüngere und jüngste Kunst werden, die darin erstmals für sie umfassend geeignete Räume vorfinden wird. Zugleich gibt die Lounge einen Blick auf das Gelände auf der anderen Seite des Heimplatzes frei, auf dem das neue Gebäude entstehen soll.

"Das Neue Kunsthaus" ist nicht nur der Erweiterungsbau! Der Begriff bezeichnet das gesamte architektonische Ensemble. Die zwei Gebäude bilden ein Museum, verbunden und getragen von der gemeinsamen Idee eines Museums für Kunst und Publikum im 21. Jahrhundert. Nicht nur bietet die Erweiterung in sich selber grossartige neue Möglichkeiten. Vielmehr können, weil wesentliche Bestände dort hinüberwandern, auch die Säle in den von den Architekten Moser und Müller erstellten Gebäudeteilen auf vielfältige Weise neu genutzt werden.

Davon kündet, parallel zur Ausstellung, die temporäre Neupräsentation der Hauptwerke Alberto Giacomettis aus seiner Reifezeit. Diese Auswahl ist vom Moser- in den Müllerbau gezogen, in lichte, grosszügige Räume, die der weltweit einmaligen Sammlung der Giacometti-Stiftung ab 2017 zur Verfügung stehen werden. Schon jetzt, wenn auch nur bis Anfang Januar, können die Besucher dort hautnah und "eins zu eins" erleben, was der Erweiterungsbau auch im bestehenden Gebäude ermöglichen wird. Konservatoren und Ausstellungsmacher werden das Neue Kunsthaus so mit Kunst beleben, dass vom Sublimen zum Radikalen, vom zeitlos Schönen zum jüngst Entstandenen, vom historisch Gegliederten zum ungefiltert vor uns Auftauchenden viele Aspekte von Kunst in bester Weise erfahrbar werden.

Das Neue Kunsthaus. Grosse Kunst und Architektur
Die Ausstellung zur Erweiterung des Kunsthaus Zürich
5. Oktober 2012 bis 6. Januar 2013