Das Lob der Torheit

Im Juli 1509 reitet Erasmus von Rom über die Alpen nach Norden. Sein Ziel ist London, wo er seinen Freund Thomas Morus besuchen will. Während des Rittes über die Bergpässe kommt ihm der Einfall, er könnte für einmal etwas Ungewöhnliches, etwas Scherzhaftes schreiben – ein Lob auf die Torheit. Angekommen im Haus seines Freundes, schreibt er seine Ideen in nur einer Woche nieder. Eigentlich sei es nur darum gegangen, sich von seinem Nierenleiden abzulenken, sagt Erasmus etwas später über die Entstehung des Buches.

1511 wird "Das Lob der Torheit" unter dem Titel "Encomium Moriae" in Paris erstmals publiziert. Schon bald entwickelt sich das Buch zum Bestseller. Die Reaktionen in der gelehrten Welt fallen heftig aus: Viele Theologen finden das Büchlein belanglos und seine bissige Kritik an der Kirche unwürdig für einen Geistlichen – der Erasmus ja immer noch ist. Andere sind begeistert, so etwa Miguel de Cervantes, der Autor des "Don Quijote". Ihm gefallen die Respektlosigkeiten gegenüber den kirchlichen Würdenträgern ausnehmend gut. 1527 wird Erasmus mitgeteilt, dass die Pariser Theologen "Das Lob der Torheit" verurteilt hätten. Wenige Jahre später nimmt die Sorbonne das Buch offiziell auf die Liste der verbotenen Bücher. In mehreren Ländern wird es von der Inquisition auf den Index gesetzt.

Um sich wenigstens etwas vor der Gefahr der Verfolgung zu schützen, unternimmt Erasmus einem Kunstgriff: Er lässt die personifizierte Torheit selbst sprechen. Auf diese Weise versteckt er sich hinter der Behauptung, dass alles Anstössige in seinem Buch aus dem Mund der Torheit komme und folglich gar nicht ernst zu nehmen sei. Hinter dem Schutzschild dieser literarischen Konstruktion holt Erasmus zum Rundumschlag aus: Er beklagt die Kriegswut des Papstes, den Protz der Kirchenoberen, den zur Absurdität verkommenen Ablasshandel, vor allem aber das Herumreiten auf Äusserlichkeiten – wo es doch eigentlich um die ernsthafte und aufrichtige Auseinandersetzung mit dem Leben und der Lehre Jesu Christi gehen würde.

Entsprechend gross ist der Einfluss des Buches auf alle, die sich mit dem Zustand der Kirche nicht abfinden wollen und einen Neubeginn anstreben. Stefan Zweig meinte, das Das Lob der Torheit sei "eines der gefährlichsten Bücher seiner Zeit", eine "Explosion, die der deutschen Reformation den Weg frei sprengte"!

Doch es gibt im Lob der Torheit noch eine andere Form des Umgangs mit menschlicher Dummheit: Es ist jenes wohlwollende Schmunzeln über die Schwächen des Menschen, das immer dann angebracht ist, wenn es die Menschen subjektiv gesehen glücklicher macht. Alles, was der Freundschaft und dem friedlichen Zusammenleben zuträglich ist, verdient nach Erasmus unsere Anerkennung. Und hier zeigen sich die eigentlichen Anliegen des Humanisten: Ablehnung von Fanatismus und Extremismus, permanenter Vorbehalt gegenüber der Richtigkeit der eigenen Position und daraus resultierend Offenheit für andere Auffassungen, die Pflege eines freundschaftlichen Dialogs, Etablierung einer friedlichen Weltgemeinschaft. Die Aktualität des Erasmus liegt denn auch gerade in dieser unbedingten Forderung nach Dialogbereitschaft.

Die Entwicklungen der vergangenen 500 Jahre, die Errungenschaften der Aufklärung und der wissenschaftlich-technische Fortschritt der Moderne haben die Anliegen des Erasmus nicht obsolet werden lassen. Warum also nicht den Versuch wagen, sich dem Lob der Torheit über das Medium Ausstellung zu nähern, über jenes Medium also, das von jeher dem Dialog mit einer breiteren Öffentlichkeit dienen soll?

Die Ausstellung im Museum zu Allerheiligen, die eher den Charakter eines Essays hat, will nicht primär ein Beitrag über Erasmus sein. Vielmehr geht es um den Versuch, Das Lob der Torheit assoziativ in eine Ausstellung zu übertragen. Hierfür werden fünfundzwanzig Textstellen je durch ein "Objektarrangement", das heisst, durch eine sinnfällige Anordnung mehrerer Exponate dargestellt.

Den Originaltext des Buches hören die Besucherinnen und Besucher über iPod, ebenso erhalten sie via Kopfhörer Informationen zur Biographie des Erasmus und zur Entstehungsgeschichte des Lobs der Torheit.

Zur Ausstellung erscheint ein kleiner Katalog, der die in der Ausstellung verwendeten Originaltexte, die Erläuterungstexte sowie die Objektbeschreibungen umfasst.


Das Lob der Torheit
Versuch einer Ausstellung nach Erasmus von Rotterdam
28. Juni 2009 bis 10. Januar 2010