Das Leben als Zeichnung

Der Amerikaner Keith Haring (1958 geb. in Reading, Pennsylvania, gest. 1990 in New York) gilt als einer der jungen Rebellen innerhalb der Pop Art-Bewegung, die seit den frühen 60er Jahren bereits von New York ausgegangen war und ihren erneuten Höhepunkt in den 80er Jahren fand. Keith Haring wuchs auf in einer Zeit des Medienzeitalters und des Konsums, die auch geprägt war von gewaltigen sozialen und politischen Umbrüchen in der amerikanischen Gesellschaft.

Diese Gegebenheiten sind seine Themen, mit denen er die Zeichnungen und Bilder, die freien Werbeflächen der U-Bahn-Schächte, die Haus- und Kirchenwände massenhaft überzog. Die Tatsache, dass er sich nicht im Atelier verschloß, sondern auf die Straßen und öffentlichen Plätze ging, um vor den Augen der interessierten Bevölkerung zu zeichnen, brachte ihm rasch eine unglaubliche Popularität ein. Er wurde zum Idol der "kids" bzw. der Jugend, für die er sich Zeit seines kurzen Lebens intensiv eingesetzt hat. Im Alter von nur 31 Jahren starb Keith Haring an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung.

Der junge Keith Haring, der sich bereits seit seiner Kindheit für Kunst und Comics interessierte, begegnete in Ausstellungen 1977 dem Werk des französischen Künstlers Pierre Alechinsky und 1978 einer Monroe-Serie von Andy Warhol. Es sind Arbeiten, die ihn nachhaltig beeindruckten. Nach nur zwei Jahren an der School for Visual Arts in New York (1978-1980) begann Haring, sich mit eigenen Aktionen und kleineren Ausstellungen "selbständig" zu machen.

Es ist von Anfang an die Linie, die Umrißlinie, die zu seinem Markenzeichen wird. Formal reduziert auf das Wesentliche hebt sie ab auf einen hohen Grad der Lesbarkeit und auch der Verständlichkeit, selbst bei flüchtiger Vorbeifahrt. Der Umriß wurde zur Figur, zu einem sinnfälligen "Icon", das Keith Haring immer wieder aufgriff, variierte, mit unerschöpflicher Fantasie in immer neue Zusammenhänge stellte und wiederkehrend auch Mutationen unterwarf. Keith Haring zeichnete immer spontan, ließ sich vom Augenblick inspirieren.

Seine Art, die Zeichnung mit Kreide oder Filzstift sowohl als eine einzige fortlaufende Linie zu begreifen als auch die aus ihr entwickelten Figuren als Module einzusetzen und damit eine Allgemeinverständlichkeit zu garantieren, brachte ihn in die Nähe der Graffiti-Künstler. Auch wenn er die Anerkennung durch sie schätzte, er arbeitete nicht mit der Sprühpistole und gehörte letztlich nicht zu ihnen. Im Gegenteil, diese kopierten sogar Keith Harings Zeichen, die bei seiner Produktivität schnell allerorten in New York, wohin er als Zwanzigjähriger gezogen war, zu sehen waren. Augenzwinkernd kommentierte er derartige Nachahmungen mit seinem "tag", dem krabbelnden Baby im Strahlenkranz, in Kombination mit einer Bildunterschrift wie "not by Keith Haring".

Diese Entwicklung macht deutlich, wie leicht der Zugriff auf diese schnelle und spontane Art der Zeichnung Harings war und weist auf das neuartige Konzept von Popularität und einzigartigem künstlerischem Anspruch hin.

Für Haring stand die individuelle Sprache und Wiedererkennbarkeit seines persönlichen Zeichenstils immer im Vordergrund. Dennoch bediente er die breite Masse und war seriellen Strukturen - wie Aufklebern, T-Shirts, Postkarten, mit denen er zu seiner eigenen Popularität beisteuerte, - gegenüber sehr aufgeschlossen. Sicherlich wird man hier auch eine Verbundenheit mit dem durch Andy Warhol praktizierten "Konzept" der "factory" erkennen können. Andy Warhol hatte Haring bereits Anfang der 80er Jahre kennengelernt - ebenso wie den eng mit diesem zusammen arbeitenden, mit Haring annähernd gleichaltrigen Jean-Michel Basquiat.

Keith Harings Zeichnungen, Grafitti und Bilder wurden sehr rasch weltweit wahrgenommen und bei den jüngeren Generationen als unverkrampfter Zugriff auf künstlerische und soziale Themen verstanden. Seine "messages" kreisten anfänglich motivisch vor allem um das krabbelnde Baby und den bellenden Hund sowie thematisch um Freundschaft, Liebe und Sex. Spätestens Mitte der 80er Jahre dann zielten seine Botschaften sehr offen gegen gesellschaftliche Mißstände, Unterdrückung, Gewalt und soziale Ausgrenzungen schlechthin.

Dabei machte Keith Haring aus seiner Homosexualität kein Geheimnis und thematisierte Sex in vielfältiger Hinsicht auch in seinen Zeichnungen: Mal ironisch-witzig, mal mit einer unglaublichen Härte, die unmißverständlich die gewaltsamen Aspekte durchklingen lassen. Keith Haring ist - wie viele Künstler seiner Generation - an den Folgen seiner Infektion mit dem AIDS-Virus gestorben. Gerade in den beiden letzten Lebensjahren, die geprägt waren von dem Wechselspiel aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, widmete er den Themen AIDS und auch Drogen, an deren Konsum etwa sein zwei Jahre jüngerer Künstler-"Kollege" Jean-Michel Basquiat zwei Jahre vor ihm in New York starb, seine ganze zeichnerische Kraft und pointierte Schärfe. Er verwandte deshalb auch viel Energie auf die Unterstützung karitativer Organisationen, vor allem zur Förderung von Kindern, und er verfügte sein Lebenswerk in eine nach ihm benannte Stiftung.

Die Ausstellung im Ludwig Museum im Deutschherrenhaus in Koblenz konzentriert sich wesentlich auf das zeichnerische Werk von Keith Haring. In der Ausstellung wird das Material und damit auch die Grundfläche Papier in den Vordergrund gestellt. Erstmals wird auf diese Weise ein Corpus von in der Öffentlichkeit unbekannten, noch nie gezeigten Arbeiten präsentiert werden. Zeichnungen hatten bei Haring ja auch überhaupt keinen Kabinettcharakter; häufig treten sie allein in den Maßen als Großformate in unser Blickfeld. Auch diese können in Koblenz gezeigt werden. Das Konzept der Ausstellung wurde gemeinsam mit The Estate of Keith Haring in New York erarbeitet, von wo auch die meisten der etwa 80 Leihgaben gestellt werden. Hinzu kommen einzelne Leihgeber aus Europa.

In Ergänzung zur Keith Haring-Ausstellung ist es gelungen, auf einer dritten Etage des Museums eine Fotografie-Serie von New Yorker Portraitaufnahmen Andy Warhols sowie seiner Freunde und Bekannten aus der Washingtoner Galerie Martin Irvines präsentieren zu können: "Celebrity Portraits from the Warhol Factory Years" von Curtis Knapp, Billy Name, Gerard Malanga und Carl Fischer. Auch gibt es Gelegenheit, den Film "Drawing the line – A Portrait of Keith Haring" zu sehen, der den Künstler bei der Arbeit auf den Straßen New Yorks etc. zeigt.


Zur Ausstellung erscheint ein mehrsprachiger Katalog im Münchener Prestel Verlag mit wissenschaftlichen Beiträgen renommierter Kunsthistoriker.

Keith Haring - Leben als Zeichnung
26. August bis 28. Oktober 2007