27. September 2015 - 1:40 / Ausstellung / Grafik 
3. Juli 2015 4. Oktober 2015

Was bedeutet es, wenn Künstler wie Edmund Kalb, Günter Brus, Thomas Palme oder Tomak die Physiognomie ihres Gesichts aufbrechen und verzerren, den Blick auf das Dahinter und Darunter freigeben und sich selbst deformiert und in unheimlichen Mutationen begriffen darstellen? Geht es in diesem Arbeiten nur um die Darstellung des Individuums oder auch um eine Abbildung unserer Zeit? Die Ausstellung im Bruseum geht diesen Fragen nach und versucht Antworten zu geben.

War das Porträt, vor allem das Selbstporträt, in der Renaissance noch selbstbewusster Ausdruck künstlerischer Souveränität und Individualität, so ist es im späten 20. Jahrhundert Ausdruck einer zunehmenden Verunsicherung geworden, angesichts einer sich rastlos beschleunigenden, überökonomisierten Welt, in der das Individuum täglich an Bedeutung verliert. Als verdichtetes Bild des Humanums zeigt das Gesicht die Außenansicht des "erschöpften Selbst" (Alain Ehrenberg), das von Ängsten, Zwängen und lähmenden Gefühlen der Erschöpfung und Unzulänglichkeit geprägt ist.

Jean-Claude Schmitt sieht das Gesicht "als Zeichen von Identität, als Träger von Ausdruck und schließlich als Ort einer Repräsentation im wörtlichen Sinn als Abbildung ebenso wie im symbolischen Sinn einer Stellvertretung." "Das Gesicht hat eine große Zukunft, aber nur, wenn es zerstört und aufgelöst wird", schreiben Gilles Deleuze und Felix Guattari in ihrem Buch "Das Gesicht ist Politik" (1980). Sie verstehen das Gesicht nicht mehr als natürliche Gegebenheit, sondern als Produkt einer kulturellen Entwicklung und somit als Ausdruck von Machtverhältnissen. Die Gesichter in der Ausstellung weisen Formen von Beschädigung und Deformation auf, die als Spuren von Gewalt und Narben von Machtverhältnissen gelesen werden können.

Der "gezeichnete Mensch" des Ausstellungstitels kündet nicht nur vom Medium seiner Darstellung, sondern auch von den Belastungen der Zeit, die ihre Spuren im Antlitz hinterlassen. Es geht um Formen und Möglichkeiten der Darstellung des modernen Menschen zwischen Körper und Geist, Biochemie und Bewusstsein, Biografie und Subjekthaftigkeit.


Das gezeichnete Ich
Zwischen Auslöschung und Maskierung
3. Juli bis 4. Oktober 2015

Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel, Zugang Kalchberggasse
A - 8010 Graz

W: http://www.neuegalerie.at/

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  •  3. Juli 2015 4. Oktober 2015 /
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Tomak: Bild 3 aus Zyklus 6 'Vernichtungen', 2011. Bleistift auf Papier, Courtesy des Künstlers
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Thomas Palme: Selbstporträt, 2009. Graphit auf Papier, Courtesy des Künstlers
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Mike Parr: Self Portrait aus: 'Alphabet I Haemorhage', Black Box of 100 Self Portrait etchings, No 1, 1992. Kaltnadel, rotes Oxyd und Blut auf 100 Blättern Hahnemühle-Papier, 31 x 27 cm; Courtesy the artist and Viridian Press
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Günter Brus: Ausstellungsujet 'Das gezeichnete Ich', 2015. Bruseum/ Neue Galerie Graz, UMJ