In den Olymp der Filmregisseure hoben die jungen französischen Kritiker Truffaut, Godard und Rivette in den 1950er Jahren Nicholas Ray. Leidenschaftliches Kino sind die Filme des Amerikaners, brillant in der Farbdramaturgie und meisterhaft in der Nutzung des Breitwandformats.
Bekannter als der am 7. August 1911 als Raymond Nicholas Kienzle geborene Regisseur selbst ist einer seiner Filme. Dank James Dean gelang Ray mit "Rebel Without a Cause" 1955 ein Kultfilm. Mag dieses Jugenddrama auch nicht sein bestes Werk sein, typische Motive und Qualitäten von Rays Filmen lassen sich auch oder gerade an diesem Film aufzeigen: Unvergesslich ist die Farbdramaturgie dieses Films mit dem roten Bouson James Deans oder dem roten und blauen Socken des sterbenden jungen Plato und denkwürdig die Nutzung des Breitwandformats beim legendären Todesrennen. Und die Probleme und das Sterben junger Männer sowie die Sehnsucht nach Heimat verbinden "Rebel Without a Cause" auf der inhaltlichen Ebene mit vielen anderen Filmen Rays.
Nicht nur die Rodeo-Reiter in "The Lusty Men" (1952) sind heimatlos unterwegs, auch Sterling Hayden in dem barocken Western "Johnny Guitar" (1954) ist ein Entwurzelter. Furios die fast ausschließlich in einem Saloon spielende erste Hälfte dieses Films, in dem verzweifelt eine zerbrochene Liebe aufgearbeitet wird. In jeder Einstellung von "Johnny Guitar" spürt man die Leidenschaft Rays. Keine Angst kennt er vor stilistischen und inhaltlichen Brüchen, steigert sich in seinem Furor, der mitreißt, auch zu irrealen Szenen: Wie Joan Crawfords weißes Kleid, während sie im dunklen Saloon am schwarzen Klavier sitzt, Feuer fängt, ist so ein einzigartiger Kinomoment.
Zum Film kam Ray über Umwege. Zunächst studierte er Architektur und Theater in Chicago, schloss sich dann dem politisch links orientierten, avantgardistischen Theater Worker´s Lab an und arbeitete als Schauspieler und Regisseur mit Martin Ritt. Joseph Losey und Elia Kazan. Erst 1949 drehte er mit "They Live by Night" seinen ersten Spielfilm. Auch in diesem Roadmovie, das Robert Altman 25 Jahre unter dem Titel "Thieves Like Us" neu verfilmte, geht’s um verlorene junge Menschen: Keine Chance hat die Liebe eines jungen Bankräubers und seiner Freundin in diesem ebenso romantischen wie pessimistischen Film noir. Hoffnungslos endet auch "In a Lonely Place" (1950), in dem Ray eine Krimigeschichte mit einer bitteren Abrechnung mit Hollywood kreuzt.
Wie im Mittelpunkt von Rays Filmen Außenseiter stehen, so blieb auch er selbst ein Außenseiter in Hollywood und weigerte sich sich an die Studioregeln anzupassen. Begeistert feierten ihn in Frankreich die Kritiker der "Cahiers du Cinéma" als großen "auteur" und legendär ist Jean-Luc Godards Satz: "Es gab das Theater (Griffith), die Poesie (Murnau), die Malerei (Rossellini), den Tanz (Eisenstein), die Musik (Renoir). Aber von nun an gibt es das Kino. Und das Kino, das ist Nicholas Ray."
In den 50er Jahren gab es für diesen Unangepassten noch eine Nische und er konnte rund 20 Filme drehen, doch nach dem Flop der Großproduktion "55 Days at Peking" (1963) und dem Niedergang Hollywoods erhielt er keinen Auftrag mehr.
10 Jahre blieb es still um den "cinéaste maudit", ehe er sich mit "We can´t Go Home Again" (1973), in dem die Utopie der Heimat schon im Titel zum Ausdruck kommt, zurückmeldete. Mit Split-Screen und verschiedenen Filmformaten setzte sich Ray in diesem versteckten Selbstporträt nochmals mit Entwurzelung auseinander und rebellierte durch die experimentelle Form auch gegen Hollywood.
Unübersehbar geprägt hat Ray mit seinen Filmen auch Wim Wenders, der nicht nur in "Im Lauf der Zeit" (1976) die Eröffnungsszene von "The Lusty Men" zitierte, sondern mit "Nicks Movie – Lightning Over Water" (1980) auch einen bewegenden, nie voyeuristischen Dokumentarfilm über das Sterben Rays, der am 19. Juni 1979 den Kampf gegen den Krebs verlor, drehte.