Das "beschte Eck" - reloaded

13. August 2012 Kurt Bracharz
Bildteil

Im Jahre 2001 erschien im Pichler Verlag, Wien, eine Buchreihe von Christoph Wagner und seiner Gattin Renate Wagner-Wittula über die Regionalküchen der österreichischen Bundesländer. Auf Einband und Buchrücken stand jeweils längs geschrieben "Christoph Wagner’s Österreichisches Kuchlkastl", vorne als eigentlicher Titel der Name des Bundeslandes plus ein Untertitel, zum Beispiel "Vorarlberg. Das "beschte Eck" von Österreich".

Jetzt hat man das Vorarlberg-Bändchen neu gebunden, nun lautet der Titel "Österreichisches Kuchlkastl", und "Die besten Rezepte aus Vorarlberg" ist zum Untertitel geworden. Geblieben sind bei diesem Vorgehen, wo also nur der alte Block neu eingebunden wurde, naturgemäß die Druckfehler ("in dem gegen Ende des 10. Jahrhunderts erstmals erschienenen "Dornbirner Kochbuch" von Anna Wehinger ...", S. 9, "Reifungsreim", S. 37, "Ragout von der Flu", S. 91, "Kraisibrösel", S. 106, und "Kraisi = Kirschen", S. 111) ebenso wie die Sachfehler ("in höheren Regionen sogenannte "Almkäse"", S. 10, "auf der Vorsässe", S. 37, "Brösel = Schmarren", S. 111, "Schwozamus = Riebel", S. 112).

Christoph Wagner (1954 – 2010), Verfasser und Mitherausgeber zahlreicher Bücher zu kulinarischen Themen war sicher einer der kenntnisreichsten einschlägigen Autoren im deutschen Sprachraum. Mit der Vorarlberger Küche – sofern man die Existenz einer solchen überhaupt anerkennen will – war er allerdings nicht wirklich vertraut. Er dankte ja auch im Buch seinen Vorarlberger Freunden dafür, dass sie "ihre Rezeptschatzkammern für das vorliegende Werk bereitwillig öffneten und auch mit Rat und Tat zur Verfügung standen, wenn es um Fragen zur autochthonen und unverfälschten Vorarlberger Küche ging".

Als ich nach Erscheinen der Erstauflage zu Wagner sagte, ich hätte vorher noch nie etwas von lokalen Spezialitäten wie der "Hörbranzer Ente mit Maronisoße", vom "Schrunser Jägermarend" oder von einem Wildgericht mit Schmand (!) namens "Ragout von der Fluh" (in dem Büchlein immer ohne –h geschrieben, aber aus Influenza, engl. "flu", kann man kein Ragout machen) gehört, erwiderte er sinngemäß, man müsse bei solchen Rezeptsammlungen eben manchmal Namen erfinden. Ich insistierte nicht darauf, auch von anonymen Enten als Hörbranzer Besonderheit niemals etwas erfahren zu haben. Ob für das "Schlinser Fondue" auch das Figugegl-Akronym gilt?

Besonders merkwürdig kommt mir nach wie vor das Rezept für "Gsiberger Leberkäs" vor, weil dieser aus Schweineleber zubereitet wird, die zusammen mit eingeweichten Semmeln, Zwiebeln und Eiern gecuttert und dann in einer mit Speckscheiben ausgelegten Auflaufform gebacken wird. Dieses Rezept stammt ursprünglich aus dem "Dornbirner Kochbuch" (1891) der aus Lindau stammenden Kochlehrerin Anna Wehinger, aber mir ist ein solcher Gsiberger Leberkäs weder privat noch in Gasthäusern jemals untergekommen. Der übliche Leberkäse zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er entgegen seinem Namen meistens keine Leber enthält (weshalb sich die Bezeichnung "Fleischkäse" eingebürgert hat) und im Falle des bekanntesten, also des bayerischen Leberkäses definitiv nie.

Auch nicht gerade traditionelle Vorarlberger Kost scheinen mir eine "Bregenzer Fischsuppe" mit Cocktailtomaten und Safran, ein "Hafaloab mit Putenseele" oder "Felchenkaviar auf Ofenkartoffeln" zu sein. Vor allem Letzterer wurde und wird äußerst selten und wenn überhaupt, dann von einem Lindauer Fischer in Bregenz angeboten. Aber Wagner irrt ja schon, wenn er im Vorwort schreibt: "Ein unerschöpfliches Reservoir für bodenständige Vorarlberger Gerichte bilden die zahlreichen klaren Gebirgsgewässer des Ländles, vor allem aber der Bodensee mit seinem Reichtum an bekannten und weniger bekannten Süßwasserfischen vom Egli über den Felchen bis hin zur seltenen Trüsche."

Tatsächlich haben Fischgerichte in Vorarlberg kaum eine Tradition, weil klare Gebirgsgewässer nicht gerade der Lebensraum für viele Fischarten sind, und vielleicht auch, weil die Vorarlberger Bodenseefischer ihre Ware früher eher in die Schweiz verkauft haben, wo bessere Preise zu erzielen waren. Seit Fischfleisch als besonders gesund beworben wird, ist der Andrang an den Fischständen der Wochenmärkte zwar größer geworden, aber dort dürfte in Asien gezüchteter Pangasius der eigentliche Renner sein. Ein Welsrezept findet man aber in diesem Büchlein nicht.