Das andere Ich

"Maske", "Maskierung" sind in den heutigen Medien und in der Literatur gängige Begriffe, doch rufen sie meist zwiespältige Gefühle hervor. Stehen sie doch im heutigen Sprachgebrauch metaphorisch für die Bedeutung von Verstellung, Täuschung, Lüge und Betrug, während die Begriffe "Demaskierung" Enthüllung, Aufdeckung den Akt der Wahrheitsfindung versprechen. Diese vorrangig negative Konnotation des Begriffs "Maske" verdankt unsere christliche Kultur der feindlichen Einstellung der frühen Kirchenväter zur Maske wie zum Theater ganz allgemein.

"Maske" als Objekt bezeichnet jedoch gerade jene Kunstform, die offensichtlich einem wesentlichen und grundlegenden Bedürfnis des Menschen entspricht, von seinen Anfängen bis in die Gegenwart: dem nach einem anderen Gesicht, einem Kunstgesicht. Bereits in den frühesten künstlerischen Darstellungen, z. B. in den Höhlenmalereien von Lascaux, Frankreich (15.000 v. Chr.) finden wir Menschen maskiert und gerade in der heutigen Kultur ermöglicht der chirurgische Eingriff jedem mit seinem natürlichen Gesicht unzufriedenen Menschen sich eine "natürliche" Maske anzueignen. Zwar diente und dient die Maske als Kunstobjekt vordergründig der Verhüllung des eigenen Gesichts, doch setzt sie dabei immer einen Betrachter oder einen Referenzpunkt voraus. Auch zum Schutz wie zur Camouflage wurden und werden Masken getragen.

Das Kunstgesicht "Maske" wurde zu verschiedenen Zeiten in diversen Kulturen und wird bis heute als Instrument und Medium unterschiedlichster lebens- oder/und kulturstiftender Prozesse eingesetzt: diente und dient es doch der Erinnerung, dem Totenkult, der Ahnenverehrung, den großen Maskenauftritten zu den Ritualen und Festen anläßlich der Jahreszyklen und Lebensabschnitte. Doch gerade im Theater fand die Maske kreative Verwendung von den frühen Mysterienspielen und Präsentationen kultischer, mythischer Figuren, in asiatischen Kulturen oder der griechischen und römischen Antike bis zur Zelebration spezifischer aus dem Leben gegriffener Typen, wie Pantalone, Capitano Spaventa, Arlecchino, Colombina u. a. in der Commedia dell’arte.

In der europäischen Malerei signalisiert die Maske als Attribut seit der Renaissance unter dem Einfluß der christlichen Kultur eine Vielzahl von Bedeutungen, die bis heute Literatur, Film und digitale Medien beherrschen. Die unendliche Vielfalt der Erscheinungsformen der Masken, der verwendeten Materialien und ihre verblüffende Ausdrucksstärke reflektieren die intensive kreative Auseinandersetzung der Maskenhersteller weltweit mit dem "anderen" Gesicht. Daher verwundert es wohl kaum, daß gerade die ausdrucksstarken Masken außereuropäischer Kulturen über Künstler wie Picasso die Sehweise des 20. Jahrhunderts stilprägend mitbeeinflußten.

Zwar gab es bereits internationale Ausstellungen von großer Wirkungskraft zum Thema Maske. Ausgangs- und Schwerpunkt waren und sind dabei jedoch stets die außerordentlich kreativen Erzeugnisse der außereuropäischen Kulturen aus vornehmlich anthropologischer Sicht. Selbst wenn dabei die Rolle der Maske in der "abendländischen" Kultur beiläufig mitverhandelt wurde. Diese Ausstellung will daher die vielseitigen Funktionen und die unterschiedlichen "Gesichter" der Maske in den verschiedenen außereuropäischen Kulturen mit der europäischen vergleichen und möglichst vernetzen. Dabei gilt es, die Begierde des Menschen - gleich welcher sozialer und kultureller Herkunft er sein mag - nach einem anderen Gesicht, klar zum Ausdruck zu bringen. Spiegelt sie doch grundsätzlich die doppelte Rolle des Menschen: seines eigenen und seines(r) sozialen Ich(s).


Wir sind Maske
24. Juni bis 28. September 2009