Crossing Europe 2010: Trotz Budgetproblemen vielversprechendes Programm

20. April 2010
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Zum siebten Mal steht die Donaustadt Linz vom 20. bis 25. April ganz im Zeichen des Films. Mit 120 Lang- und Kurzfilmen ist das Programm von Crossing Europe zwar etwas schmäler als im Jahr von "Linz 09", bietet mit seinem Fokus auf dem jungen europäischen Autorenfilm, durchsetzt mit Highlights wie dem Berlinale-Sieger "Bal" und Bruno Dumonts "Hadewijch" oder einem Tribute für die russische Produktionsfirma Koktebel aber wieder ein viel versprechendes, sich dem Mainstream verweigerndes engagiertes Programm.

Hat in den vergangenen drei Jahren Crossing Europe von der Rolle von Linz als europäische Kulturhauptstadt 2009 profitiert und ein Fünftel des Budgets aus den Zuschüssen von "Linz 09" abdecken können, so fiel diese beträchtliche finanzielle Unterstützung heuer weg. Weder durch öffentliche Gelder noch durch private Sponsoren konnte speziell in einer Zeit der Wirtschaftskrise und allgemeiner Sparmaßnahmen diese Einbusse wett gemacht werden, sodass man mit einem deutlich reduzierten Budget auskommen muss. Dennoch gelang es Festivalleiterin Christine Dollhofer und ihrem Team wieder ein vielfältiges und vom Papier anspruchsvolles Programm zusammen zu stellen, das Lust auf einen Festivalbesuch weckt.

Dass Crossing Europe für die verschiedensten Geschmäcker etwas bietet, machen schon die vier teilweise parallel gezeigten Eröffnungsfilme deutlich. Auf die immer noch herrschenden Probleme und Spannungen in Bosnien blickt Jasmila Žbanić in ihrem schon bei der Berlinale gezeigten Beziehungsdrama "Na Putu – On the Path". Ein knorriger Männerfilm vor dem Hintergrund der von der Kamera großartig eingefangenen endlosen Tundrenlandschaft der russischen Eismeerküste ist dagegen der bei der Berlinale mehrfach preisgekrönte "How I Ended This Summer", der im Rahmen des Tributes für die russische Produktionsfirma Koktebel gezeigt wird.

Auf die Programmschiene "Local Artists" stimmt "Es muss was geben" ein. Oliver Stangl und Christian Tod blicken in dieser Musikdoku auf die Linzer Musikszene der letzten 30 Jahre. Fixer Bestandteil von Crossing Europe ist auch die Reihe "Nachtsicht", in der neue Horrorfilme und Thriller, die abseits von Hollywood entstanden, vorgestellt werden. Mit "Vengeance" des Hongkonger Meisterregisseurs Johnny To wird diese von Markus Keuschnigg kuratierte Schiene hochkarätig eröffnet.

Für Höhepunkte in dem mit 10.000 Euro dotierten Wettbewerb, der ersten und zweiten Spielfilmen vorbehalten ist, sorgen sicher Séverine Cornamusaz´ vor kurzem mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnetes Beziehungsdrama "Coeur animal" und Asli Özges "Köprüdekiler – Men on the Bridge". Erzählt Cornamusaz vor dem Hintergrund einer archaisch-kargen Bergkulisse kraftvoll von der langsamen Menschwerdung eines Bauern, der seine Frau lange Zeit nicht anders als seine Tiere behandelt, so verknüpft Özge einerseits drei Istanbuler Alltagsgeschichten, andererseits souverän dokumentarische Beobachtung mit Fiktion. Gespannt sein darf man aber auch auf das Regiedebüt der britischen Schauspielerin Samantha Morton ("The Unloved") sowie auf die weiteren sieben Wettbewerbsfilme.

Neben noch Unbekanntem Hochkarätiges findet sich in der Schiene "Panorama Europa". Hier läuft nicht nur Semih Kaplanoglus Berlinale-Sieger "Bal", sondern beispielsweise auch "Hadewijch", in dem Bruno Dumont vom Aufeinandertreffen einer gläubigen Pariser Christin und eines extremen Moslems erzählt. Für Aufsehen beim letztjährigen Filmfestival von Cannes sorgte wiederum "Kynodontas – Dogtooth". Der Grieche Yorgos Lanthimos erkundet in seinem vielfach als verstörend bezeichneten und mit dem Werk Michael Hanekes verglichenen Film am Beispiel einer Familie autoritäre Strukturen.

Die "Panorama Docs" wiederum bringen ein Wiedersehen mit dem Amerikaner Jonathan Caouette, der nach der abgründigen Aufarbeitung seiner eigenen Familiengeschichte mit "Tarnation", mit "All Toworrow´s Parties" einen Musikfilm über das titelgebende Festival vorlegt. Der Bogen in dieser Programmschiene spannt sich von der Reise einer jüdischen Widerstandskämpferin des Zweiten Weltkriegs quer durch Europa zu Orten und Personen ihres Lebens ("The Child – Das Kind") über die ruhige Beobachtung des Lebens in einem abgelegenen schwedischen Ort ("Hälsningar från skogen – Greetings from the Woods") bis zur Analyse des Aufstiegs von Silvio Berlusconi ("Videocracy").

Einen Überblick über die Koktebel Film Company bietet der Tribute mit sieben Filmen dieser Produktionsfirma. Neben dem existentialistischen Polar-Drama "How I Ended this Summer" gibt es hier unter anderem mit "Koktebel" eine in ein Roadmovie verpackte Vater-Sohn-Geschichte, mit "Help Gone Mad" eine exzentrische Komödie sowie mit "Wolfy" ein Horrormärchen. Ganz um Horror und Spannung geht es in der "Nachtsicht", wo beispielsweise die Fortsetzung zum spanischen Überraschungserfolg "[REC]" oder Wener Herzogs sich am Orest-Mythos orientierender Krimi "My Son, My Son, What Have Ye Done?" gezeigt werden.

In die Abgründe der realen Welt blickt dagegen die Sparte "Arbeitswelten", in der Peter Mettler in "Petropolis – Aerial Perspectives on the Alberta Tar Sands" mit Flugaufnahmen die verheerenden Folgen der Erdölgewinnung in der kanadischen Provinz Alberta dokumentiert. Wie solche Schäden zumindest teilweise wieder rückgängig gemacht werden können, erkundet Rainer Komers in "Milltown, Montana", während Angela Summereder in "Jobcenter" den Alltag in einer der titelgebenden Einrichtungen schildert. Und last but not least bietet Crossing Europe 2010 mit rund einem Dutzend Filmen auch einen Einblick in das aktuelle lokale Filmschaffen.