City Lights - Lichter der Großstadt

Auch 81 Jahre nach seiner Entstehung hat Charlie Chaplins großes Melodram über den Tramp, der sich in ein blindes Blumenmädchen verliebt, nichts von seiner Magie und seinem Reiz sowie seiner bitteren Gesellschaftskritik verloren. In einer Reihe mit legendären Stummfilmen hat die SüddeutscheZeitung Cinemathek auch dieses zeitlose Meisterwerk auf DVD herausgebracht.
Der Tonfilm war 1931 schon erfunden, doch Chaplin verzichtete immer noch – und wird es noch zehn weitere Jahre tun - auf das gesprochene Wort, vertraute auf die Bildsprache und lässt wie als Hohn auf die neue Erfindung Redner nur unverständliche Laute von sich geben und den Tramp nur durch eine verschluckte Pfeife "sprechen". Die Reduktion ermöglicht die Konzentration auf die Bilder, ihren Rhythmus und die Poesie, die hier durch nichts gestört wird.
Der Tramp ist Chaplins Figur. Ließ er ihn in seinem größten Erfolg "Goldrush" durch die Einöden eines winterlichen Alaskas irren, so ist er hier mit der sozialen Realität der Großstadt konfrontiert. Der Obdachlose findet Unterschlupf unter einem verhüllten Monument. Bittere Sozialkritik übt Chaplin durch den Kontrast zwischen diesem Denkmal des Fortschritts und Wohlstands und dem armen Tramp. Nur Hohn hat er für die Honoratioren der Stadt übrig. So bitter freilich diese vom restlichen Film losgelöste Eröffnungsszene ist, so berührend, sanft und poetisch ist sie auf der anderen Seite.
Chaplins Filme entstehen nicht wie die Eisensteins in der Postproduktion am Schneidetisch, sondern sie entstehen direkt vor der Kamera. In langen Einstellungen filmt er das Geschehen, schneidet nur, wenn es nötig ist, verzichtet auch auf spektakuläre Kamerabewegungen. Schauspieler und Details gewinnen so an Gewicht, sie müssen die Szene füllen.
Mühelos gelingt das Chaplin freilich, wenn sich vor einem Schaufenster ein unbewusstes, aber für den Zuschauer beglückendes Spiel mit der Hebebühne eines Straßenarbeiters entwickelt, wenn der Tramp den tödlichen Sprung eines Millionärs ins Hafenbecken verhindern will oder sich in einem Umkleideraum auf einen Boxkampf vorbereitet und seine Angst immer größer wird.
Filmische Trouvaillen sind solche Szenen, doch nie sind sie Selbstzweck, sondern ordnen sich immer der Handlung unter. Auf den ersten Blick verliebt sich der Tramp hier in ein armes blindes Blumenmädchen – auf Typen reduziert sind die Figuren, erhalten keine Namen, sondern stehen für eine gesellschaftliche Schicht. Sie hält ihn für einen reichen Mann und er unternimmt nichts ihr diese Illusion zu nehmen, sondern besucht sie immer wieder und versucht sie zu unterstützen.
Im betrunkenen Millionär, den er vor dem Selbstmord bewahrt hat, scheint er einen Gönner zu finden, doch sobald dieser nüchtern ist, will er nichts mehr mit dem Tramp zu tun haben. Bert Brecht hat dieses Motiv später in seinem Schauspiel "Herr Puntila und sein Knecht Matti" wieder aufgenommen. Das Auf und Ab der Beziehung zum Millionär sorgt nicht nur aufgrund Chaplins genauem Blick für hinreißende Szenen, sondern bietet dem Stummfilmstar auch die Möglichkeit scharfe Sozialkritik zu üben. Doch gleichzeitig bleibt sein Film bei aller sozialen Verankerung immer ein warmherziges Märchen.
Schier grenzenlos ist "City Lights" in seiner Sentimentalität, schier grenzenlos aber auch in seiner Schönheit, in seiner Poesie, in der Präzision einzelner Szenen und seiner emotionalen Kraft. - So frisch und bewegend wie eh und je strahlt dieses Meisterwerk auch nach über 80 Jahren. Nichts scheint ihm die Zeit anhaben zu können. Auf Extras wird freilich wie gewohnt bei den Ausgaben der SüddeutscheZeitung Cinemathek verzichtet.
Ausschnitt (Ende) von "City Lights - Lichter der Großstadt"