Caruso ist Caruso ist Caruso ist Caruso
Roberto Alagna erweist seinem großen Tenorkollegen, dem legendären Enrico Caruso, seine Referenz, sich indes keinen Gefallen mit seinem neuen Album "Caruso 1873" (Sony Classical).
Zunächst zu Enrico Caruso, der am 27. Februar 1873 in Neapel geboren wurde. Er war das 19. von 21 Kindern. In die Wiege gelegt wurden ihm zwei Begabungen. Das Zeichnen und die Musik. Er entschied sich für die Musik. Das Zeichnen blieb sein Hobby und er soll hin und wieder behauptet haben, das Zeichnen bereite ihm doch mehr Freude.
Zunächst reichte das Geld für eine Gesangsausbildung nur zum Zuhören. Der Unterricht inclusive Gesang kostete mehr. Dieses "Mehr" verdiente sich der junge Caruso mit dem Schleppen von Mehlsäcken. Als der Gesangslehrer Giuseppe Vergine den 18-jährigen Caruso erstmals singen hörte, sagte er: "Mein Freund, deine Stimme klingt wie das Heulen des Windes durch ein Fenster." (Quelle: Maurus Pacher, Caruso im Affenhaus und andere Operngeschichten / Henschel Verlag Berlin 1998)
So schlimm kann es nicht gewesen sein, denn Vergine nahm Caruso als Schüler an. Er habe Gold in der Kehle, behauptete ein Bekannter des Gesangslehrers, was dieser mit den Worten abtat: "Ach ja, das ist Gold auf dem Boden des Meeres – nicht der Mühe wert, danach zu tauchen." (Quelle: Maurus Pacher, Caruso im Affenhaus und andere Operngeschichten / Henschel Verlag Berlin 1998)
Einer der bedeutendsten Orchesterleiter seiner Zeit, Arturo Toscanini, war da ganz anderer Meinung! Für ihn zählte Enrico Caruso zu den vier stimmlichen Phänomenen, die dieser in seinem Leben gehört hatte. Puccini fragte Caruso gar einst, ob Gott ihn geschickt habe.
Enrico Caruso, sang wie ein junger Gott, italienisch, französisch, spanisch und englisch. Doch weigerte er sich, wegen der zu vielen Konsonanten deutsch zu singen. Er soll ein Hypochonder gewesen sein, heisst es. So sei er nicht ohne einen Schrankkoffer voller Tinkturen und anderen Mittelchen gereist, nein, er habe aus Angst vor Hautausschlägen gar seine eigenen Laken und Kissen mitgenommen. Selbst eine dicke Matratze, die er vor seinen Betten platzierte, damit er sich nicht verletzte, sollte er eventuell aus dem Bett fallen.
Es war am 11. Dezember 1920, als der Anfang vom Ende begann. Caruso bekam gegen Ende des ersten Aktes von L’esir d’amore einen Blutsturz. Man reichte ihm Handtuch um Handtuch und er sang noch eine Weile weiter, so weit, bis dann die Aufführung doch abgebrochen wurde.
Enrico Caruso habe lediglich eine Interkostalneuralgie, diagnostizierte Dr P. Horowitz. Nervenschmerzen zwischen den Rippen einfach formuliert. So lapidar wie Seitenstechen. Im Nachhinein ein Horrorwitz, denn Caruso litt tatsächlich an einer Brustfell- und vermutlich auch einer Lungenentzündung. Es folgten mehrfache Operationen, von denen sich der Tenor jedoch nicht mehr erholte. Am 31. Juli 1921, seine Tochter Gloria war gerademal anderthalb, schrieb Caruso aus Neapel an den Manager Giulio Gatti-Casazza, der sich nach Carusos Befinden erkundigt hatte: "Ich kann Ihnen nichts sagen. Ich bin noch nicht bei guter Gesundheit. Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt meine Frau in der Ecke und weint." Zwei Tage später war er tot. (Quelle: Maurus Pacher, Caruso im Affenhaus und andere Operngeschichten / Henschel Verlag Berlin 1998)
Zurück zum Hier und Heute und zu Roberto Alagnas CD "Caruso 1873".
Es ist mutig, sich beispielsweise an Lucio Dallas Hommage Caruso heranzuwagen, mutig sich den herausragenden stimm-und emotionsstarken Interpretationen im Vergleich zu stellen, die bereits veröffentlicht wurden.
Wie sehen/hören Sie das?
In Philadelphia sprang Caruso 1913 in einer Aufführung spontan für einen kranken Kollegen ein. So musste er auch Vecchia zimarra, aus Giacomo Puccinis La bohème – eine Bass-Arie singen. Caruso musste dies tun, Roberto Alagna hätte es nicht tun müssen. Es gab einen guten Grund, weshalb diese Aufnahme damals nur zu Carusos privatem Gebrauch oder Vergnügen eingespielt wurde!
Bei zwei Duetten ist auch Aleksandra Kurzak zu hören, Alagnas Ehefrau. Vielleicht ein kleines Geschenk zum 4. Hochzeitstag? Eine bissige Vermutung, ich weiss. Doch klingen diese Duette, wie das komplette Album, für mich wie ein Versuch, sich eben schnell mal wieder in Erinnerung zu bringen. Undurchdacht, voreilig oder mutig? Ich weiss es nicht, doch ich bin der Meinung, dass es zweifellos Passenderes für Roberto Alagnas Stimme und Persönlichkeit gibt.
In einem Interview der Zeitschrift Opernwelt (September/Oktober 2015) sagte Roberto Alagna: "Uns Sängern geht es immer darum, das Unmögliche zu erreichen – in jeder Partie. Man richtet sich das Leben nach Kräften unbequem ein! Ich dachte schon oft: Das schaff ich nicht. Und dann ging es doch."
Unmöglich bedeutet nunmal nicht durchführbar, nicht zu bewerkstelligen, sich nicht verwirklichen lassend.
"Das ist eine Hommage an Enrico Caruso", so Roberto Alagna, "mein Großvater lebte in New York und war mit ihm befreundet." Das lasse ich als Entschuldigung nicht gelten, Herr Alagna.
Die Stimme von Enrico Caruso war in ihrer Art etwa so einzigartig wie die der Maria Callas. In Anlehnung an Gertrude Stein sage ich: Caruso ist Caruso ist Caruso ist Caruso.
Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt