Cannes 2010: Autorenfilmer statt Blockbuster

12. Mai 2010
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Kurz vor Festivalbeginn wurde das Line-Up der 63. Ausgabe des Filmfestivals von Cannes (12. bis 23. Mai 2010) nochmals auffrisiert. Neue Filme von Ken Loach und Kornel Mundruczo wurden ins Rennen um die Goldene Palme aufgenommen, den Ton geben aber die Franzosen und Asiaten an. Neue Filme von Ridley Scott, Woody Allen und Oliver Stone laufen dagegen außer Konkurrenz.

Schon länger bekannt ist, dass Ridley Scotts "Robin Hood" das Festival an der Côte d´Azur eröffnen wird. Als Gegenpol zu dieser neuen Version über den Rächer den Enterbten kann man Oliver Stones Fortsetzung seines 1987er Erfolgs "Wall Street" ("Wall Street – Money Never Sleeps") ansehen. Gespannt sein darf man dabei darauf, wie beide Filme auf die jüngste Finanzkrise Bezug nehmen beziehungsweise diese verarbeiten. Wie Stones und Scotts Filme laufen auch Woody Allens "You Will Meet a Tall Dark Stranger" und Stephen Frears Comic-Verfilmung "Tamara Drewe" außer Konkurrenz.

Im Wettbewerb, der zunächst mit 16 Filmen zahlenmäßig eher dünn besetzt war, dann sukzessive auf 19 Beiträge aufgestockt wurde, spielen die Amerikaner dagegen eine Nebenrolle. Doug Liman, der sich mit "Mr and Mrs Smith" und "Jumper" nicht gerade als eine der Zukunftshoffnungen des Kinos präsentiert hat, ist zwar mit seinem Thriller "Fair Game" vertreten, aber damit sind die USA auch schon abgetan. – Außer Terrence Malick gelingt es doch noch seinen in der Postproduktion befindlichen "The Tree of Life" rechtzeitig fertig zu stellen. Diesen Film hätte Festivaldirektor Thierry Fremaux sicher noch gerne im Programm.

Wie Malick ist auch der Mexikaner Alejandro González Iñárritu ein großes Kaliber, das den Spagat zwischen Kommerz und Kunst in seinen ersten Filmen geschafft hat. Neugierig wird man freilich bei Iñárritus neuem Film "Biutiful" darauf achten, ob und welche Auswirkungen die Trennung des Mexikaners von seinem bisherigen Drehbuchautor Guillermo Arriaga auf seinen Film hat.

Etwas aufgebessert wurde die zunächst mit Mike Leighs "Another Year" und Daniele Luchettis "La nostra vita" schwache europäische Präsenz im Wettbewerb sukzessive im Nachhinein durch die Nachnominierung von Kornel Mundurczos "The Frankenstein Project" und Ken Loachs Irak-Kriegsdrama "Route Irish". Dagegen stechen die Franzosen mit vier und Russland mit zwei Produktionen umso mehr hervor. Aus letzterem kommt nicht nur mit der Fortsetzung von "Die Sonne, die uns täuscht" ("Utomlyonnye solnstem") ein neuer Film des Altmeisters Nikita Mikhalkov, sondern mit "You, My Joy" auch einen Spielfilm des Dokumentarfilmers Sergei Loznitsa.

Am stärksten vertreten sind im Wettbewerb aber die Franzosen. Gespannt sein darf man vor allem auf "Des hommes et des dieux", mit dem Xavier Beauvois seine erste Regiearbeit seit "Le petit Lieutenant – Eine fatale Entscheidung" vorlegt und auf den ersten langen Spielfilm des Schauspielers Mathieu Amalric ("Tournée"). Daneben darf das Veranstalterland auch noch Bertrand Taverniers "La Princesse de Montpensier" und Rachid Boucharbs "Hors la loi" ins Rennen um die Goldene Palme schicken, die von der achtköpfigen von Tim Burton geleiteten Jury am 23. Mai vergeben wird.

Die von den Namen der Regisseure her interessantesten Produktionen kommen aber aus Asien und Afrika. Der Japaner Takeshi Kitano – in Cannes mit "Outrage" im Wettbewerb – hat zwar mit seinen letzten Filmen nie wirklich ganz zu überzeugen vermocht und vom Iraner Abbas Kiarostami (neuer Film: "Copie Conforme") hat man auch schon länger nichts mehr gehört, dafür gehört der Afrikaner Mahamat-Saleh Haroun seit "Daratt" zu den großen Hoffnungen des Weltkinos und auch der Thailänder Apichatpong Weerasethakul hat sich in den letzten Jahren zum Kritikerliebling entwickelt. Haroun kämpft mit "Un homme qui crie" und Weerasethakul mit "Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives" um die begehrte Palme. Die möchten freilich auch die Südkoreaner Im Sangsoo, der mit "Housemaid" an die Croisette reist, und Lee Chang-dong, der schon mit "Oasis" und "Secret Sunshine" viel Beachtung gefunden hat, mit "Poetry" erobern. Nachnominiert wurde aus dieser Region der Chinese Xiaoshuai Wang mit "Chongqing Blues".

Teilweise fast interessanter als das Wettbewerbsprogramm liest sich das Line-up der Nebenreihen. So laufen in der Reihe "Un certain regard" mit "Film socialisme" ein neuer Film von Jean-Luc Godard und mit "O Estranho caso de Angélica – Angelica" der vielleicht endgültig letzte Film des über 100-jährigen Portugiesen Manoel de Oliveira. Aber nicht nur alte Eisen sind hier zu finden, sondern mit dem Deutschen Christoph Hochhäusler, der "Unter dir die Stadt“ zeigt, und den beiden Rumänen Radu Muntean und Cristi Puiu, der nach "Der Tod des Herrn Lazarescu" mit "Aurora" zum zweiten Mal einen Film nach Cannes schicken darf, auch hochinteressante jüngere Regisseure.

Insgesamt scheinen aber doch leichte Zweifel berechtigt, ob das heurige Festival wieder über so hohes Niveau verfügen wird wie das letztjährige oder die sensationelle 2007er Veranstaltung. Die heurige Auswahl erweckt zumindest vom Papier her teilweise schon den Eindruck, dass dieses Mal nicht so zahlreiche Regiemeister wie in früheren Jahren gerade Filme fertig haben. – Und dann muss auch Cannes nehmen, was auf dem Markt verfügbar ist.