Call any vegetable!

6. Dezember 2010 Kurt Bracharz
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Gut vierzig Jahre ist es her, dass Frank Zappa auf der zweiten Mothers-LP "Absolutely Free" Ray Collins das Lied "Call any vegetable" singen ließ. Vor ein paar Monaten muss jemand diesen Song neuerlich und lautstark angestimmt haben, denn das Gemüse antwortet derzeit aus allen Ecken und Enden, zumindest denen der Haute cuisine im deutschsprachigen Raum (dass die Franzosen oder die Engländer da mitziehen, kann man sich nur schwer vorstellen).

Am vergangenen Wochenende (3. Dezember 2010) widmete die "Süddeutsche Zeitung" ihr Magazin dem angeblichen Trend "Die neue Gemüseküche". Vorher schon hatte in Österreich Heinz Reitbauer, der Chef de cuisine des von den heimischen Gourmetmagazinen höchstdekorierten Wiener Restaurants "Steirereck im Stadtpark", über die Medien verkündet, dass er das Seine dazu tun werde, Gemüsegerichte in die höheren Regionen der Kochkunst zu befördern – wo sie in den letzten zwei-, dreihundert Jahren niemand vermutet hatte. Gemüse war früher das typische Armenessen (Kohlgeruch im Hausgang wird heute noch – oder heute schon wieder? – in Trivialromanen als Signal für neue Armut verwendet) und figurierte auf allen anderen nicht-vegetarischen Tischen immer nur als Beilage zu Fleisch oder Fisch. Selbst in die verschiedenen Gemüsesuppen und Gemüseeintöpfe gab Speck oder Wurst, wer sich das leisten konnte. Frischer Spargel war so ziemlich die einzige Ausnahme von der Gemüse-ist-Beilage-Regel.

Das SZ-Magazin machte mit einem Gespräch mit dem Berliner Koch Michael Hoffmann (Restaurant "Margaux", 1 Michelin-Stern) auf, der sich vor allem gleich einmal gegen das vom Interviewer verwendete Wort "vegetarisch" wehrte, weil es "negativ besetzt" sei. In seiner Gemüseküche gehe es weniger als im Vegetarismus "um Ideologie oder Dogmen", Hoffmann esse nur dreimal pro Woche Gemüse und gebe seinem gelegentlichen Gusto auf eine Bratwurst gerne nach. Bei der neuen Gemüseküche gehe es um die Ethik des Essens, sie sei "eine nachhaltige Küche, die ehrliche Werte aufleben lässt". Erstaunlich klingt zunächst Hoffmanns Behauptung, die Gemüsegerichte müssten eigentlich teurer sein als die Fleischspeisen, weil sie sehr viel mehr Arbeit machten. Auf einen seiner Paradeteller kämen über 20 Gemüsesorten und schon allein das Putzen von Gemüse sei mit dem Parieren von Fleisch oder dem Filetieren eines Fisches nicht vergleichbar.

Das mag für die Haute cuisine gelten, aber generell ist jegliches Gemüse gewiss billiger als Fleisch, Fisch oder Käse, und auch die Gemüseputzer sind sicher nicht die höchstbezahlten Fachkräfte in der Küche (so wenig wie die Spargelstecher auf freiem Feld). Bei der Gastro-Kritik können jetzt Feinstschmecker in der Art von Jürgen Dollase aufgeigen, die immer schon behauptet haben, beim Gemüse das terroir herausschmecken zu können. Das halte ich – Teltower Rübchen hin, Castelluccio-Linsen her – für ein wenig übertrieben.

Zappa hatte den Trend vorhergesehen: "Call any vegetable / and the chances are good / that a vegetable will respond you."