Burning

Ruhig und leise, aber ungemein konzentriert und mit sich sukzessive steigernder Spannung erzählt Lee Chang-dong in seiner Verfilmung von Haruki Murakamis Kurzgeschichte "Barn Burning" von der sich steigernden Verunsicherung eines jungen Koreaners.

Ansatzlos ist der Einstieg, wenn der junge Jong-su aus einem Schrank an einer Straße einen Sack mit Kleidern nimmt, ihm die Kamera durch diese Straße folgt und er schließlich in ein Geschäft geht, in dem der Ausverkauf angepriesen wird. Vor dem Geschäft stehen zwei junge Frauen, eine fordert ihn zur Teilnahme an einem Gewinnspiel auf und tatsächlich gewinnt er eine Damenuhr.

Die eine der beiden Frauen spricht ihn an, stellt sich als Hae-mi vor und behauptet, dass sie im gleichen Dorf aufgewachsen seien. Rasch entwickelt sich eine Beziehung und Hae-mi bittet Jong-su während ihrer Afrikareise für ihre Katze zu sorgen. Irritiert ist Jong-su freilich, da er die Katze beim gemeinsamen Aufenthalt in der Wohnung nie sieht und wie Hae-mi zuvor das Schälen einer imaginären Mandarine demonstrierte, macht sie sich nun selbst über die imaginäre Katze lustig.

Eröffnet wird damit ein Spiel über Realität und Einbildung, über die trügerische Wahrnehmung, das an Michelangelo Antonionis "Blow Up" erinnert, und das Lee Chang-dong konsequent weitertreibt. Denn bald kann man sich da nicht mehr sicher sein, ob Hae-mi wirklich Jong-su von früher kennt oder das nur erfunden hat, denn er kann sich an keines der Ereignisse erinnern, von denen sie erzählt. Und auch ihre Katze wird Jong-su und mit ihm der Zuschauer nie zu Gesicht bekommen, einzig ein Katzenklo und die stets leere Futterschale deuten auf ihre Existenz hin.

Gut möglich wäre aber auch, dass die gesamte Handlung dieses langsam vor sich hin köchelnden, aber seine Spannung sukzessive steigernden leisen Thrillers nur eine Imagination Jong-sus ist, der doch so gerne Schriftsteller wäre, sich aber mit Gelegenheitsjobs durchschlagen muss und erst am Ende an seiner Schreibmaschine sitzt.

Kein Zufall ist dabei freilich auch, dass er William Faulkner als sein Vorbild nennt, hat dieser doch eine Kurzgeschichte mit dem gleichen Titel wie Haruki Murakamis dem Film zugrunde liegende Kurzgeschichte "Barn Burning" geschrieben.

Wohl nicht zuletzt weil er vom Leben arg gebeutelt ist, die Mutter die Familie früh verlassen hat, und der cholerische Vater im Gefängnis sitzt, weil er gewalttätig wurde, verliebt sich Jong-su in Hae-mi. Groß ist seine Enttäuschung folglich, als er sie bei der Rückkehr von ihrer Afrikareise am Flughafen abholen will, sie aber ihm den reichen Ben als Urlaubsbekanntschaft vorstellt.

Nicht nur eine Dreiecksgeschichte entwickelt sich so, sondern auch ein Porträt der gespaltenen südkoreanischen Gesellschaft. Von hoher Jugendarbeitslosigkeit ist hier in den Nachrichten einmal die Rede und während Jong-su mit einem klapprigen Pickup seines Vaters unterwegs ist und sich immer wieder auf dessen halb verfallenes Bauernhaus auf dem Land zurückzieht, fährt Ben einen neuen Porsche, wohnt in einer ebenso exklusiven wie sterilen Wohnung und behauptet keiner Arbeit nachgehen zu müssen.

Verloren sind diese Figuren, die Sehnsucht nach Sinn wird vor allem bei Hae-mi spürbar, die diese schon nach Afrika trieb und auf Jong-sus Bauernhof vom kleinen physischen Hunger und der großen Sehnsucht nach Lebenssinn erzählt, bevor sie diesen mit einem Tanz im Sonnenuntergang beschwört. Es brennt - auch darauf verweist der Titel - ein Feuer in den Menschen, doch jeder lebt hier im Grunde für sich, eine echte Beziehung und Empathie für den anderen scheint es nicht zu geben. – Auch diese Entfremdung verbindet "Burning" mit den Filmen Antonionis.

Kein Wunder ist es aber auch, dass Ben durch seinen Reichtum und das stylische Leben dem armen Schlucker Jong-su, der in diesem Yuppie auch einen Nebenbuhler im Kampf um die Liebe Hae-mis sieht, bald suspekt ist. Irritiert ihn schon Bens Behauptung, dass er als Hobby Gewächshäuser anzünde und dass er nun eines in unmittelbarer Nähe von Jong-sus Bauernhaus ins Auge gefasst habe, so steigern sich seine Verdächtigungen noch, als Hae-mi plötzlich verschwindet. Ist es vielleicht nicht nur eine Redensart, sondern steckt ein Verbrechen dahinter, wenn Ben feststellt, sie habe sich wie in Rauch aufgelöst?

Nicht viel passiert im Grunde in den nicht nur im Verhältnis zu Murakamis nur zehnseitiger Vorlage doch beachtlichen 148 Minuten und weitgehend kommt Lee Chang-dong mit drei Personen aus. Keine Action ist hier nötig, allein durch die ungemein konzentrierte Inszenierung und die geschickte Platzierung von Momenten der Verunsicherung, die sich zunehmend steigern, erzeugt Chang-dong eine nie nachlassende Spannung.

Wesentlich tragen dazu neben den drei intensiv spielenden jungen Darstellern auch die meisterhafte visuelle Gestaltung und die brillante Filmmusik bei. Ganz klar sind die Bilder, alles scheint man zu sehen, gleichzeitig wird die Geschichte immer undurchsichtiger. Gerade auch der Widerspruch zwischen dem Sichtbaren und der Unklarheit erhöht die Spannung.

Während sich nämlich bei den meisten Filmen, die Rätsel mit Fortdauer klären, wird hier alles zunehmend unklarer und zweideutiger und man lernt der eigenen Wahrnehmung zu misstrauen. Auch am Ende ist hier nichts gelöst und es ist gerade diese Offenheit, die zum mehrmaligen Sehen einlädt. Dass "Burning" auch dabei auch seine Geheimnisse nicht nur bewahren, sondern wohl noch vergrößern dürfte, macht ihn zu einem lange nachwirkenden Meisterwerk moderner Filmkunst.

Läuft derzeit im Takino Schaan und im Kinok in St. Gallen (korean. O.m.U.)

Trailer zu "Burning"