Bucky Fuller & Spaceship Earth

Richard Buckminster Fuller (1895–1983) hat mehr Anleitungen zu der sich ändernden Umwelt hinterlassen als jeder andere große Wegbereiter der modernen Architektur. Der Entwurf geodätischer Kuppeln machte ihn berühmt – vor allem sein Ausstellungspavillon für die USA zur Expo 1967 setzte Zeichen. Dabei war Buckminster Fuller nicht nur Architekt, sondern auch Ingenieur, Designer, Zukunftsforscher, Schriftsteller und sogar Schauspieler – ein umfassender Denker, der sich mit den Problemen des Alltags auseinandersetzte und nach Lösungen suchte.

Im Jahre 1927, als Fuller arbeitslos und durch den Tod seiner Tochter an einem Tiefpunkt angelangt war, überkam ihn eine fast religiöse Erweckung: Er begann ein Langzeit-Experiment, das bis zum Ableben von "Guinea Pig B" – wie er sich selbst bezeichnete – im Jahre 1983 andauerte. Sein Ziel: herauszufinden, wie viel ein Individuum dazu beitragen kann, die Welt zum Nutzen der gesamten Menschheit zu verändern. Und so entwickelte sich der gescheiterte Harvard-Student, Ex-Marinefunker und Bankrotteur zum "Leonardo da Vinci unserer Zeit", wie ihn der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan betitelte.

Als einer der ersten hat Fuller das Wirken der Natur als durchgängiges systemisches Wirken unter ökonomischen Prinzipien (Material- und Energie-Effizienz) gesehen. Seine Theorien und Überlegungen bezogen sich unter anderem auf neue Wohnformen, Kraftfahrzeugbau und Kartografie. In seiner Arbeitsweise war Buckminster Fuller Vorreiter für die heutigen CAD-Bauten oder der "Hightech-Architektur". Nicht nur dass er mit der Nutzung von Vorfertigungen, flexiblen Systemen und Synergien konzeptionell in die gleiche Richtung gearbeitet hatte, sondern er nahm auch ganz konkret schon Mitte der 60er beim Bau des Expo-Pavillons in Montreal den Computer zur Hilfe, um seine komplexe Konstruktion zu berechnen.

Fuller verstand sich selbst als "anticipatory design scientist". Während Architekten wie Philip Johnson den Autodidakten herablassend als Erfinder, Guru oder Poeten bezeichneten und ihn nicht als Mitglied ihrer Zunft akzeptierten, stieß sein interdisziplinärer Ansatz bei Künstlern auf starkes Interesse. Für die Modelle seines "Dymaxion Car" arbeitete er zum Beispiel mit dem Bildhauer Isamu Noguchi zusammen. Die Bezeichnung "Dymaxion" – ein Fantasiewort aus DYnamic - MAXimum - tensION – charakterisiert den zukunftsweisenden Geist seiner Konzepte, in denen sich Wissenschaft, Technik und Design mit visionärem Denken verbinden. So nahm er etwa mit seinen Ideen von Vernetzung und Synergieeffekten Elemente der Cyber-Kultur vorweg.

1948 forderte Josef Albers Fuller auf, am legendären Black Mountain College zu unterrichten. Hier begann Fuller mit geometrischen Grundformen zu experimentieren, woraus seine 1954 patentierten Geodesic Domes resultierten. Während die Dymaxion-Projekte kaum über das Modelloder Prototypenstadium hinauskamen, wurden die Kuppeln zu Fullers erfolgreichster Erfindung. Perfekt verkörperten die aus einem filigranen Netz aus Dreiecken zusammengefügten Gebilde seine pragmatische Devise "Doing more with less": Die gestellte Aufgabe sollte möglichst ressourcenschonend gelöst werden. Es galt, mit minimalem Energie- und Materialaufwand maximale Effizienz zu erzielen. Fullers Dome für die Weltausstellung in Montreal, eine gigantische, doch beinahe immateriell wirkende Konstruktion aus Acrylglas und Aluminium, wird zum Symbol für das Raumfahrtzeitalter und den technologischen Fortschritt.

Bereits in den 1950ern prägte Fuller den Begriff "spaceship earth" – als Metapher für eine globale Sicht auf das ökologische System unseres Planeten. Sein populäres Buch "Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde" (1969) ließ ihn zum Guru der beginnenden Öko-Bewegung werden, er galt als einer der ersten Propagandisten der Nachhaltigkeit. Fuller glaubte fest daran, dass wir die Möglichkeit besitzen, selbst unlösbar scheinende Probleme zu bewältigen, eben durch visionäres, experimentell orientiertes Denken, aus dem technologischer Fortschritt resultiert. Das macht seine pragmatischen Utopien gerade jetzt so wichtig – nicht nur für Künstler.

Und auch die aktuelle Architektur ist heute noch von Fullers eleganten Geometrien, die zukunftsweisenden Konstruktionsprinzipien sowie sein ganzheitliches Denken geprägt: Allem voran sind hier zum Beispiel Norman Fosters aufgrund seines Netzes aus dreieckigen Fenstern an einen gigantischen Tannenzapfen erinnernder Turm in der Londoner City oder Santiago Calatravas Kuppelbau "L"Hemisfèric" für ein Science Center in Valencia.

Die im Marta Herford präsentierte Zusammenstellung seiner wichtigsten Projekte aus ganz unterschiedlichen Arbeitsfeldern basiert auf der Präsentation des Werkes von Richard Buckminster Fuller in zehn Kapiteln, wie sie 2010 von Lord Norman Foster für die Ivorypress-Galerie in Madrid erarbeitet wurde:

1) 4D Thinking – Light Works for the Planet
2) The Dymaxion Experiment – From House to Shelter
3) Streamlined Transport – The Dymaxion Car
4) Dymaxion Deployments – Bathroom, DDU and Wichita House
5) Geometrical Explorations – From the Sphere to the Globe
6) The Notion of Tensegrity – Structures and Sculptures
7) A Geodesic Revolution – Domes for the World
8) Utopian Proposals – Cities in Spaceship Earth
9) Projects with Foster – A Visionary Realism
10) "Whole Earth" Fuller – An Alternative Hero

Diese umfassende Präsentation bietet einen konzentrierten Einblick in die wesentlichen Aspekte des Schaffens dieses Ausnahme-Denkers, Designers und Architekten: von den Anfängen des Dymaxion-Hauses, über die Entwicklung geodätischer Kuppeln, die Konstruktion von Tensegrity-Strukturen, das Dymaxion-Car bis hin zu utopischen Ideen, die "Bucky" – wie er vielfach nicht nur von seinen Freunden genannt wurde – als einen frühen Netzwerker zeigen, der die Grundgedanken von ökologischer Nachhaltigkeit mit einer fast grenzenlosen Technikeuphorie zu kombinieren wusste.

Das Dymaxion-Car, entstanden aus einem Hybrid aus Auto und Flugzeug, verkörpert wie kein anderes gebaute Objekt die Erfindungslust des Konstrukteurs. So wird ein fast verloren geglaubter Prototyp dieses Wagens, dessen sorgfältige Restaurierung von Norman Foster persönlich betreut wurde, erstmals mit dieser Ausstellung in Deutschland zu sehen sein. Von hier aus entwickelt diese Ausstellung ein weit verzweigtes Referenzsystem der Konstruktionen und Ideen bis in die Gegenwart.

Bucky Fuller & Spaceship Earth
11. Juni bis 18. September 2011