4. September 2019 - 9:25 / Rosemarie Schmitt / Musikuß

Es war meine erste Begegnung mit jenem Ritter von der traurigen Gestalt. Andere sind mir durchaus bereits begegnet. Zeitgenössische traurige Gestalten, aus dem Hier und Jetzt.

Doch spreche ich von der Begegnung mit dem Ritter. Jenem Ritter, dessen Geschichte Miguel de Cervantes Saavedra mit Worten erzählte und Jules Massenet diese Worte vertonte. Massenets Don Quichotte gehört zu jenen Opern, zu denen ich Bilder brauche um sie tatsächlich zu verstehen. Die Musik alleine ist schön, keine Frage, doch eine Oper ist eine Oper und kein Orchesterwerk.

Also machte ich mich auf nach Bregenz zu den diesjährigen Festspielen, die außer der Oper auf der Seebühne, noch so viel mehr zu bieten haben. Zum Beispiel Jules Massenets Oper Don Quichotte im Festspielhaus!

Der Informationsbroschüre entnahm ich, daß Massenet gar selbst das Libretto von Henri Cain lobte, der sich an einige Änderungen der zugrunde liegenden Heldenkomödie von Le Lorain wagte. So soll Massenet sich wie folgt geäußert haben: „ (…) Vor allem Le Lorains geniale Erfindung, Cervantes Dulcinea, die fette Wirtsmagd, durch die wirklich originelle und bildhübsche Schöne Dulcinea zu ersetzen, brachte mich darauf, diese Oper zu schreiben. (…)“

Was jene Veränderungen in der Adaption des Librettos betrifft, so teile ich die Meinung der Regisseurin Mariame Clément: „ (…) Die Figur, die am offensichtlich meisten darunter leidet, ist Dulcinea. Im Roman – das ist ohne Zweifel eine der genialsten Erfindungen des Buches – ist Dulcinea eine Illusion: In Wirklichkeit ist sie eine einfache Bäuerin, etwas vermännlicht mit einem Geruch von Knoblauch, die in Don Quijotes Vorstellung zu der Dame wird, die er für die Konstruktion seiner Ritterpersönlichkeit benötigt. Das ist natürlich sehr witzig, aber auch eine geniale Metapher für die Tatsache, dass jede Liebe notwendigerweise eine Projektion ist. (…)“ Wie Recht Sie doch haben, Madame Clément!

Nun saß ich also im Festspielhaus und harrte der Don Quichottes und Dulcineas, die da kommen sollten. Und es kam, daß sich dieses Fest- in ein Lichtspielhaus verwandelte, daß statt für Eiscreme, für Rasierklingen geworben wurde! Dann ist der Mann ein Mann? Ich harrte noch immer.

Der in einer der vorderen Reihen zunächst sitzende, dann stehend, laut lamentierende Mann, regte sich heftig und hektisch auf, ob dieser scharfen Werbeeinlage. Es gehörte zur Inszenierung, verstand ich, seine Worte jedoch nicht, obwohl er deutsch gesprochen haben soll. Ebenso erging es meinem freundlichen Nachbarn, der glaubte, sein Nichtverstehen läge an seinen nicht ausreichenden Deutschkenntnissen. Er war ein Franzose, der freundliche Nachbar, der mir gegenüber ab nun wohl klar im Vorteil sein sollte, handelt es sich doch um eine französischsprachige Oper.

Der Vorhang öffnete sich und wie erfreut ich doch war, ein klassisches Bühnenbild zu erblicken! Kostüme aus längst vergangener Zeit, alte Gemäuer, und eine auf einem Balkon stehende wunderschöne Dulcinea, die Vergänglichkeit der Jugend besingend. Die warme, kehlige Stimme von Anna Goryachova als Dulcinea gefiel mir sehr. Meinem Nachbar auch. „Ich kann leider nicht verstehen, was sie singt“, sagte er und meiner Antwort „ich auch nicht“, entgegnend: „Das mag sein, aber ich bin Franzose!“ In welcher Sprache sie auch sang, es klang schön und schließlich wusste man ja worum es ging. Außerdem war ich guter Dinge. Hatte ich doch zu Anfang die Befürchtung, es könne sich um eine allzu moderne Inszenierung handeln.

Der Chor sang, tanzte und huldigte, Dulcinea besang die Jugend, und auf der Bühne erschien der Esel. Er gehörte zu Sancho Pansa. Dieser wiederum und das Pferd gehörten zu Don Quichotte. Dieses war der erste … und der zweite folgte sogleich. Ja, den Akt einen Streich zu nennen, erlaube ich mir in diesem Fall, beförderte doch der zweite Streich mich völlig unvorbereitet in die heutige Zeit. Da war sie plötzlich, eine jener modernen Bearbeitungen, denen ich grundsätzlich skeptisch begegne.

Doch ließ mir die Inszenierung der französischen Regisseurin Mariame Clément keine Zeit für das Beharren auf Grundsätzlichkeiten! Rasant und interessant katapultiert sie die Geschichte des Don Quichotte in die heutige Zeit. Ein Ventilator, was einst Windmühle war. Die Ritterrüstung aus strahlend weißem, weichen Frottee, ein tätowierter Sancho, der den Wasserhahn nicht mehr zu bekommt und ein Held, der mit Toilettendeckel und Klobürste den Kampf zu gewinnen glaubt. Wen wunderte da noch das Erscheinen von Spiderman, der sich mit einer kriminellen halbstarken Gang anlegte? Die Tussi-Dulcinea von heute, nicht nur im Büro eine Leitende, unterscheidet sich in ihrer Art und ihren Absichten nicht wirklich von ihrer vierhundertjährigen Vorgängerin.

Diese Don Quichotte-Version hat mich gepackt und gefesselt wenn auch nicht überzeugt. Wie gesagt, grundsätzlich …

Bedauerlich, dass Massenets wundervolle Musik, die er zwei Jahre vor seinem Tod komponierte, durch allzu viel eindrucksvolle Bühnen-Action etwas auf der Strecke blieb. Schließlich bin ich eine Frau, und wurde Massenet nicht nachgesagt, er komponiere Frauenmusik?!

Irritierend, dass der Operntext, eingeblendet auf Monitoren rechts und links von der Bühne, nicht so recht zu der modernen Inszenierung passte. Und das bei Massenet, dem die Bedeutung der Sprache so wichtig gewesen ist, dass er, um seine Musik der Sprache anzupassen, vor der Vertonung, stets das Libretto auswendig lernte.

Blumige Worte und stachelige Klobürsten können, wollen, sollen und müssen nunmal nicht harmonieren.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt



  •  4. September 2019 /
Bregenzer Festspiele - Don Quichotte, Foto Karl Forster
Bregenzer Festspiele - Don Quichotte, Foto Karl Forster
Don Quichotte
Don Quichotte
Don Quichotte, Foto Karl Forster
Don Quichotte, Foto Karl Forster
Bregenzer Festspiele - Don Quichotte, Foto Karl Forster
Bregenzer Festspiele - Don Quichotte, Foto Karl Forster