Blick auf Kinderschicksale

12. Februar 2008
Bildteil

Quer durch die Filme des Wettbewerbs der Berlinale ziehen sich als Haupt- oder zumindest als Randthema Eltern-Kind-Beziehungen. Während Eric Zonca in "Julia" und Damien Harris in "Gardens of the Night" auf höchst unterschiedliche Weise von Kindesentführungen erzählen, kreist das amerikanische Familiendrama "Fireflies in the Garden" auch um traumatische Kindheitserlebnisse.

Während im chinesischen Wettbewerbsbeitrag "Zou You" die Mutter alles für ihre krebskranke Tochter tut, nimmt im grandiosen amerikanischen Epos "There Will Be Blood" der egoistische Ölmagnat ein Baby nur auf, um damit bei Geschäftsverhandlungen die Partner zu beeinflussen. Später wird er diesen Ziehsohn verstoßen. – Sind diese Kinderschicksale hier Nebenthemen stehen sie bei anderen bei der Berlinale gezeigten Filmen im Zentrum.

Von den Eltern entführt wurde dagegen die siebenjährige Leslie und von einem netten Onkel mit allen erdenklichen Tricks förmlich vom Elternhaus abgenabelt und auf ihn eingeschworen, um dann für Kinderpornographie benützt zu werden. 10 Jahre später flüchtet Leslie vom Straßenstrich in eine Obdachlosenunterkunft und erinnert sich im Gespräch mit einem Sozialarbeiter an ihre Geschichte.

Detailgenau schildert Damien Harris in "Gardens of the Night" die Techniken der Entführer, halten sich aber mit spekulativen und voyeuristischen Szenen konsequent zurück. Erwartet man zunächst eine Inszenierung à la Larry Clark, so wird man diesbezüglich positiv überrascht. Doch so erschütternd das Schicksal an sich auch sein mag, so sehr kommt der Film, der im Nachspann auch noch auf das Ausmaß von Kindesentführungen, Kinderpornographie und Kindesmißhandlungen hinweist, über "die Geschichte zur Schlagzeile" nicht hinaus und findet keine eigene Form. Da ist nicht nur Leslie einfach immer nur süß und auch auf dem Straßenstrich immer noch bestens geschminkt, sondern auch die Bilder sind in einem Maße aufgeräumt und steril, dass "Gardens of the Night" nie eine filmische Kraft oder Atmosphäre zu entwickeln vermag.

Das pure Gegenteil dazu ist "Julia", bei dem sich Eric Zonca an John Cassavetes´ "Gloria" orientierte. Mit Fortdauer zunehmend durchgedrehter ist die Story über eine unberechenbare Alkoholikerin, die für eine psychisch kranke mexikanische Mutter deren Sohn vom millionenschweren Großvater entführt und schließlich in Mexiko landet, wo der Junge wiederum ihr entführt wird. Doch so grotesk die Geschichte auch ist, so sehr entwickelt sie zumindest in der ersten Hälfte durch eine fiebrige Kameraarbeit, grelle Überbelichtungen und einen nervösen Schnitt, durch die die Anspannung Julias direkt in die filmische Form übertragen wird, einen Drive, dem man sich kaum entziehen kann. Zusammengehalten aber wird der ruppige Film durch eine grandiose Tilda Swinton, die in der Hauptrolle großen Mut zur Häßlichkeit beweist.

Filmische Kraft entwickelt zumindest am Beginn auch Damien Lees "Fireflies in the Garden", wenn der Zuschauer aufgrund von Schauplatzwechsel und Spiel mit Rückblenden erst langsam den Überblick über die Personenkonstellationen gewinnt. Sind aber einmal die Figuren zusammengeführt, verliert sich dieses Familiendrama doch sowohl formal als auch inhaltlich in ausgetretenen Pfaden. Wirklich spannend könnte der Film werden, wenn er die Traumatisierung, unter der Michael aufgrund der Erziehung durch den dominanten, ihn psychisch und physisch quälenden und verachtenden Vater, ausloten würde oder sich intensiv den Schuldgefühlen, unter denen der etwa 10jährige Christopher wegen des Todes seiner Tante leidet, widmen würde.

Verdrängung und Verarbeitung wären starke Themen, aber leider blickt Lee nur kurz hin, schneidet viel an, hängt der verstorbenen Gattin und Mutter auch noch eine Affäre mit einem Uniprofessor an und lässt die offensichtlich früher alkoholsüchtige Frau von Michael schwanger werden anstatt sich auf wenig zu konzentrieren. – Statt scharf die Institution Familie zu durchleuchten erzählt der mit Willem Dafoe, Emily Watson und Julia Roberts exzellente besetzte Film somit letztlich von der Möglichkeit der Auflösung aller Konflikte und der Wiederherstellung einer heilen Welt.